SANDRA LANGEREIS: ERASMUS.
BIOGRAFIE EINES FREIGEISTS
Erasmus von Rotterdam (ca. 1467-1536) war der große Vordenker und Wegbereiter der
modernen europäischen Kultur und der neuzeitlichen Geisteswissenschaft. Den Grabstein des
Gelehrten und ewigen Studenten im Basler Münster ziert der Spruch Concedo
Nulli (Ich weiche niemandem).
Dem angemessen lautet der Titel der Chronik seiners rastlosen Lebens aus der Hand der
niederländischen Historikerin Sandra Langereis Erasmus Biografie eines
Freigeists. Dass das opulente Werk umgehend preisgekrönt wurde, verdankt die
Autorin nicht zuletzt der literarischen Finesse, Erasmus selbst immer wieder zu Worte
kommen zu lassen.
Das macht diese vom Stoff her recht komplexe Lektüre fast zur lebendig erzählten
Autobiografie und kommt damit zugleich den Absichten des Intellektuellen weit entgegen,
Der verfasste gleich mehrere autobiografische Schriften für seinen Nachlass. Von daher
ist mit Ausnahme seines exakten Geburtsjahres eine recht exakte
Lebensbeschreibung möglich.
Die sich im erste Teil der Kindheit und Jugend des Desyderius Herasmus widmet. Der einer
illegitimen Verbindung eines Priesters und seiner Haushälterin entstammt. Was seinen
späteren Berufsweg behinderte, denn erst nach einem päpstlichen Dispens durfte Erasmus
schließlich promovieren. In jungen Jahren steckte man ihn gegen seinen Willen in ein
Kloster und er wurde folgerichtig Augustinermönch und zum Priester geweiht.
Dem Kloster drehte Erasmus danach auf ewig den Rücken und zog durch halb Europa zu
verschiedenen Universitäten. Und er wurde mit vielen seiner über 400 Schriften zum
erfolgreichsten Schriftsteller der Welt. Schon früh hatte er mit seiner
Sprichwörtersammlung Adagia einen Bestseller. Sein berühmtestes Werk aber
wurde 1509 die Satire Lob der Torheit, die er seinem Freund Thomas Morus
widmete, dem Kanzler von Englands König Heinrich VIII., der ihn später wegen angeblichen
Hochverrats hinrichten ließ.
Dieses Buch ist ein Meisterwerk des Spötters, denn hier bündelt sich seine
intellektuelle Haltung, die auf Vernunft und Logik setzte. Der gipfelte in der
seinerzeit höchst gefährlichen Wertung Die christliche Religion steht einer
gewissen Torheit recht nahe, hingegen mit der Weisheit verträgt sich sich schlecht.
Wissenschaftliche Fakten galten Erasmus mehr als religiöse Dogmen und stets zog er die
unvoreingenommene Forschung der eine Lehre vor. Zugleich arbeitete der Philosoph,
Philologe und Theologe zuvorderst an kirchlichen Themen. Und der Mann, der fließend
Latein sprach, legte eine Grundlage für die nicht viel spätere Bibelübersetzung Martin
Luthers ins Deutsche, als er die alte Bibelübertragung aus dem 4. Jahrhundert neu
übersetzte und dabei von vielen Fehlern und Missverständnissen befreite.
Doch obwohl Erasmus immer wieder seiner Neigung frönte, etablierte Wahrheiten in Frage zu
stellen, endete sein Leben friedlich. Was die Biografin in die wunderbar schlichten
letzten Sätze fasst: Er starb nicht als Märtyrer. Er starb als Mensch. In seinem
eigenen Bett.
Zuvor aber geht Sandra Langereis noch kritisch ein auf das eher gespannte Verhältnis
zwischen Erasmus und Luther. Wobei sich der kosmopolitische Freigeist als wahre
Lichtgestalt des frühen liberalen Denkens erweist in dieser historischen Umbruchphase von
Renaissance, Humanismus und Reformation. - Fazit: ein würdiges Opus magnum als Hommage an
eines der leuchtendsten Vorbilder eines freien Intellekts.
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