DAVID GRANN: DER UNTERGANG DER
WAGER
Im September 1740 sticht ein Geschwader unter Kommodore George Anson mit Geheimauftrag in
See, um spanische Schiffe im Pazifik aufzubringen. Neben fünf echten Kriegsschiffen ist
auch die Wager dabei, einst als Handelsschiff gebaut und jetzt mit 28 Kanonen
bestückt im Auftrag der Royal Navy zu Frachtzwecken dabei.
Damit beginnt das erste von mehreren Dramen um dieses glücklose Schiff, dessen auf 200
Mann aufgestockte Crew ein wildes Schicksal bevorsteht. Der versierte US-Autor David Grann
hat sich dem Fall nun mit dem hochspannenden Sachbuch Der Untergang der Wager
gewidmet. Der Untertitel gibt dabei einen Vorgeschmack auf dieses Drama in mehreren Akten:
Eine wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei.
Noch bevor das Geschwader das berüchtigte Kap Hoorn an der Südspitze Lateinamerikas
erreicht, verstirbt Wager-Kapitän Dandy Kidd und Leutnant David Cheap
übernimmt das Kommando. Auf dem Schiff aber hatte sich ersten ohnehin eine
außergewöhnlich hohe Zahl an widerspenstigen und streitlustigen Männern
versammelt, und zweitens tobt in der extremen Passage ein solch heftiger Strom, dass
die kleine Flotte auseinandertreibt und die Wager gänzlich abgetrennt wird.
Ob es wirklich die schlechte Führung durch Kapitän Cheap war oder die Disziplinlosigkeit
der von Krankheiten und Hunger gebeutelten Mannschaft, ist nicht mit Gewissheit
nachzuvollziehen, jedenfalls folgt nach der mühsam geglückten Durchfahrt durch die
Passage ein folgenschwerer Fehler bei der Navigation, als die Wager viel zu
früh vom westlichen nun auf Kurs Nord geht. Und damit bei immer noch stürmischer See
viel zu nah an die zerklüftete Küste Patagoniens kommt.
Wo das Schiff am 14. Mai 1741 geradezu zwangsläufig im sogenannten Gold der Schmerzen auf
Felsen aufläuft und Schiffbruch erleidet. Während der Kapitän wegen einer schweren
Verletzung vorübergehend handlungsunfähig ist, kann sich etwa die Hälfte der Mannschaft
auf die später Wager Island genannte Insel retten. Die für ein längeres
Verweilen aber völlig ungeeignet ist.
Was zum nächsten Drama führt, einen gnadenlosen Kampf um die wenigen Lebensmittel, bei
dem jede Ordnung zerbricht und heftige Konflikte ausbrechen. Das geht bis zur offenen
Meuterei und während Kapitän Cheap den aufsässigen Fähnrich Cozen erschießt und
trotzdem jede Autorität verliert, schwingt sich Stückmeister Bulkeley zum Anführer auf.
Und dann folgt das nächste Drama: nach einem unglaublichen Weg unter unvorstellbaren
Strapazen in einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt taucht im Januar 1742 an der
Südküste Brasiliens ein zusammengestückeltes Segelboot auf, an Bord 30 Überlebende der
Wager. Als sie in der Heimat ankommen, werden sie als Helden gefeiert und
einige von ihnen verbreiten nicht nur verbal sondern auch durch Handschriften ihre Version
der Ereignisse.
In der insbesondere der für tot erklärte David Cheap als Verursacher der Katastrophe
ganz schlecht wegkommt. Doch im Sommer desselben Jahres werden eben dieser Kapitän und
zwei seiner Offiziere die man quasi hilflos auf der Felseninsel zurückgelassen
hatte an der Küste Chiles angeschwemmt. Und sie berichten nach ihrer Heimkehr eine
sehr andere Version der tatsächlichen Geschehnisse, ein von Mord und Meuterei.
Vor allem aber verteilt Cheap keine Tatsachenberichte sondern geht vors
Kriegsgericht. Wo es zum Prozess kommt, der eigentlich nur mit etlichen Todesstrafen enden
kann für wen auch immer. Doch Autor Grann, der für Jahre für den Fall
Wager recherchiert hat, deckt Erstaunliches auf: einen offensichtlichen Kuhhandel
der britischen Admiralität, um einen Skandal zu vermeiden und viele unzulängliche
Verhältnisse bei der Royal Navy nicht öffentlich werden zu lassen.
Unterlegen konnte Grann meisten Fakten aus einer immensen von großenteils bisher
unveröffentlichten Quellen bis hin zu vergilbten Log- und Tagebüchern von damals.
Zugleich ist es ihm gelungen, aus dem Wust von Ereignissen und Sachdetails ein absilut
fesselndes Abenteuerbuch zu machen. Da kommt bei Lesen der höchst authentischen
Schilderungen aus dem Leben auf einem typischen Marineschiff jener Zeit, wo es schmutzig,
übelriechend, eng und labyrinthisch zuging, unwillkürlich ein leichtes Gruseln auf.
Wer im Übrigen Parallelen zum Fall der Bounty 48 Jahre später sieht
auch hier gab es zunächst sehr unterschiedliche Darstellungen der Meuterei. Aus denen
allerdings Captain William Bligh entgegen den romantisierenden Abenteuerverfilmungen
ebenfalls nicht der Böse war, sondern vielmehr nach der
Seegerichtsverhandlung später sogar bis zum Vize-Admiral aufstieg.
Fazit: diese Aufarbeitung des Falles der Wager darf als ein Meisterwerk des
Genres erzählendes Sachbuch zum Thema Seefahrt angesehen werden.
|