NAOMI ALDERMAN: THE
FUTURE
Ob der neue Roman von Naomi Alderman eine Dystopie ist, stellt sich ebenso erst gegen Ende
heraus, wie auch dann erst klar wird, was der Titel The Future ganz konkret zu
bedeuten hat.
Vorweg sagen darf man jedoch, dass die britische Erfolgsautorin ihren einzigartigen
Welterfolg Die Gabe hier noch bei weitem überbietet. Schon die drei zentralen
Charaktere, die zunächst mit einigen ihrer typischen Macken vorgestellt werden, sind
übergroße Figuren. Wie Lenk Sketlish, CEO von Fantail unübersehbar Facebook und
X/Twitter nachempfunden.
Der nächste Tech-Milliardär heißt Zimri Nommick, in seinem Weltkonzern Anvil erkennt
man unschwer Amazon, und in derselben Liga spielt Ellen Bywater, denn ihr Soft- und
Hardwarekonzern Medlar ähnelt Apple oder Microsoft. Ellen ist im Übrigen nicht nur die
Älteste des Trios, sie ist auch der Parvenü, denn sie hat erst kürzlich den genialen
Firmengründer Dabrowsky abgesägt.
Im Vordergrund stehen gleichwohl mit Martha Einkorn und Lai Zhen zwei jeweils auf ihre
Weise faszinierende Frauen aus gegensätzlichen Welten. Martha ist die rechte Hand von
Lenk Sketlish, die einzige Person, der er traut und die tiefste Einblicke in seine
Schaffen hat. Sie weiß nur zu gut, dass er ein Visionär ist, der alles zu beherrschen
vermag, nur sich selbst nicht.
Lai Zhen stammt als Flüchtling aus Hongkong und prominente Fernsehjournalistin aus einer
ganz anderen Liga. Sie propagiert Survival-Strategien und ist selbst eine Spezialistin in
den entsprechenden Techniken. Als sie Martha auf einer Messe in London begegnet, sind
beide sofort elektrisiert voneinander und nach einer heißen Liebesnacht macht die Ältere
der 33-Jährigen ein Armbandgeschenk mit dem extrem geheimen AUGR-Programm.
Was es damit auf sich hat, erfährt Zhan jedoch erst, als sie aus ihr unverständlichen
Gründen von einer Killerin gejagt wird, und es dieses Programm ist, das sie rettet. AUGR
aber hat eine noch weitaus wichtigere Funktion, denn es vermag vor dem Weltuntergang zu
warnen. Von dem die drei CEO wissen, dass er unweigerlich bald kommen wird.
Doch mit dem subtilen Zynismus der abgehobenen Mächtigen freuen sie sich geradezu auf
diese Zukunft. Mit luxuriösen geheimen Bunkeranlagen haben sie längst vorgesorgt und
nach einer kleinen Apokalypse und ein paar Jahren
Unbequemlichkeiten wird die Welt wieder wunderbar. Und AUGR erkennt den
Zeitpunkt.
Nun aber muss betont werden, dass der Roman ganz anders gestaltet ist, als sich diese
ersten Schilderungen lesen. Verschachtelt und mit Wechseln der Zeitebenen reißt er mit
sachlicher und zuweilen rüder Sprache einfach mit. Zudem ist zu all dem eine scharfe
ethische Komponente eingeflochten, klar abgesetzt als Posts des Name-the-Day.
Prepper-und-Survival-Forums.
Hier wird aus der biblischen Genesis die Geschichte von Sodom und Gomorrha drastisch
neuzeitlich erzählt. Mit direkten Bezügen zur Gegenwart. Urheber sind die Enochiten und
Zhan erfährt, dass Martha Einkorn als Tochter des Fundamentalisten-Gurus Enoch einst
dieser alttestamentarisch strengen Endzeitsekte entfloh.
Doch auch unter den Insidern der Milliardärs-Clicque gibt es eine Gegenbewegung, zu der
neben Martha, Dabrowsky und der immer wieder gedemütigten Nommick-Gattin Selah vor allem
der non-binäre Badger Bywater gehört. Der ebenso hochintelligente wie anarchische
21-Jährige heckt Pläne gegen die Allmacht des Trios der CEO aus, denen der Niedergang
des Planeten entgegen ihren Möglichkeiten in ihrer Gier völlig egal ist.
Und AUGR tut, was es soll: in gebührendem Vorlauf warnt es die Drei vor dem Ausbruch der
Apokalypse in Gestalt einer äußerst tödlichen Taubengrippe, die sich rasend schnell
ausbreitet. Wobei es das Schicksal will, dass das Trio auf seiner absolut geheimen Flucht
abstürzt und nur dank technologischer Tricks überlebt.
Da heißt es von Lenk Sketlisch: die Zukunft war für ihn gegenwärtiger als die
Gegenwart. nun aber findet beides auf einer kleinen Südseeinsel statt, die zudem
als FutureSafe-Naturschutzgebiet strengstens gegen Betreten und Überfliegen abgeschirmt
ist.
Immer packender aber auch monströser wird das Geschehen erzählt. Es kann hier aus
triftigem Grund nur noch verraten werden, dass erst im letzten Kapitel offenbar wird, was
The Future ist. Bis dahin aber hat man sich längst regelrecht wundgelesen an
diesem utopischen Thriller, der ein schier unglaubliches Füllhorn an intelligenten Ideen,
überraschenden Wendungen und brillant gezeichneten Charakteren bietet.
Zwei Aspekte sollten im Übrigen niemanden von diesem Meisterwerk abhalten: der Roman ist
keine ScienceFiction sondern spielt sehr realistisch in der nahen Zukunft. Und der
deutlich feministische Anflug wird nie missionarisch, es stehen einfach hinreißende
starke Frauen im Vordergrund. Fazit: The Future hallt lange nach und hat alle
Qualitäten für ein Kultbuch.
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