ILONA JERGER: LORENZ
Konrad Lorenz (1903-1989) stellte Philosophie und Psychologie auf Gänse-Füße. Das ist
salopp ausgedrückt, doch ein Roman darf das und den hat Ilona Jerger aus dem Leben des
berühmten Verhaltensforschers gemacht.
Einfach Lorenz lautet der Titel und die Erfolgsautorin macht daraus eine
gelungene Vermischung aus biografischem Roman und erzählendem Sachbuch. Ihre Expertise
als Journalistin schlägt sich dabei in ebenso flüssiger wie zuweilen süffisanter Prosa
nieder.
Als fiktive Erzählerin wirkt hier eine junge Biologin, die mit Lorenz' Werken
aufgewachsen ist. Bevor sie auf den ersten Lebensabschnitt des Forschers eingeht, stellt
sie dessen Vater Adolf vor. Der österreichische Professor war ein wegweisender
Orthopäde, der sich aufHüftdisplasien und ähnliche Knochendefekte spezialisiert hatte.
Während er dadurch zum internationalen Großverdiener wurde, verabscheute er als
Anhänger der Eugenik insgeheim diese Arbeit zugunsten von Krüppeln. Seine
Haltung, aus gesellschaftspolitischer Verantwortung gegenüber der Volksgesundheit
nicht bei der Vermehrung minderwertigen Erbguts zu assistieren, gibt der Vater
an den Sohn weiter.
Was sich später auch in dessen Gesinnung zeigen wird. Zunächst aber verlaufen die ersten
30 Lebensjahre eher unauffällig. Zur Enttäuschung des Vaters verlässt Konrad allerdings
die Arztlaufbahn und studiert seiner intensiv gepflegten Leidenschaft für die Tierwelt
folgend Zoologie und promoviert darin ein zweites Mal.
Inzwischen mit der Ärztin Gretl verheiratet und Familienvater, intensiviert er seine
Tierstudien, findet aber keine Anstellung im katholisch-konservativen
Wissenschaftsbetrieb. Und hier nun kommt die Kapitelüberschrift Die
Braungans. Über Jahrzehnte hinweg begleitet die von ihm quasi mitgeborene Graugans
Martina, eines seiner herausragenden Studienobjekte.
Mit dem Anschluss Österreichs ans Dritte Reich im März 1938 sieht der verhinderte
Wissenschaftler seine Chance und ergreift sie in einer Art und Weise, die sehr viel
später noch für heftige Kritik sorgen wird. Da verleugnet er sogar, jemals Parteigenosse
gewesen zu sein oder Nazi-Denkweisen gepflegt zu haben.
Doch nicht von ungefähr sagt die fiktive Erzählerin: Lorenz kennt keine
Hemmungen. Tatsächlich gibt es einschlägige Beweise, wie sehr er den
Nationalsozialismus als politische angewandte Biologie schätzte und auch die
darin propagierte Erbgesundheitspflege. Und der von jeher begnadete Geschichtenerzähler
Lorenz spricht in seinen Thesen jetzt ganz allgemein von der Verhausschweinung des
Menschen.
Seine Gefälligkeit beschert ihm 1940 die erste Professur und krönt ihn mit dem Lehrstuhl
Immanuel Kants in Königsberg. Doch der Krieg wird wichtiger als Tier- und
Verhaltensforschung: Lorenz muss an die Ostfront. Während auch das Schicksal anderer
Prominenter immer wieder einfließt auch das seines langjährigen Freundes Bernhard
Hellmann, der trotz Flucht in die Niederlande im KZ umkommt gerät Unterarzt Lorenz
1944 in Kriegsgefangenschaft.
Diese Passagen der Jahre bis zur Heimkehr 1948 zählen zu den bewegendsten des immer mehr
fesselnden Romans mit einem Konrad Lorenz, der als geborener Entertainer wie auch als
Mediziner zum Segen seiner Mitgefangenen wird und nebenher unermüdlich seine
Tierverhaltensforschung fortsetzt. Auf 750 kleinen Blättern schreibt er seine
Erkenntnisse nieder für sein grundlegendes Werk Die Naturwissenschaft vom Menschen.
Eine Einführung in die vergleichende Verhaltensforschung.
Nach der Heimkehr findet er erneut erst beim deutschen Max-Planck-Institut Anerkennung bis
hin zur Professur und dem eigenen Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen. Und
Lorenz wird berühmt mit Büchern wie Das sogenannte Böse sowie den gekonnten
Fernsehauftritten.
Doch auch Kontroversen kommen auf mit alten Männern, die vom gesunden Erbgut
schwärmen und von Gänsen auf Menschen schließen. Während Lorenz einerseits
heftig angefeindet wird, steigt er Anfang der 70er Jahre auch noch zum
schlagzeilenträchtigen Ökologie-Guru auf.
Da darf der Mann mit dem markanten weißen Kinnbart noch drei Triumphe erleben. Allen
vorweg 1973, als der einstige Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP mit dem
Nobelpreis in Medizin ausgezeichnet wird. Und als Wortführer gelingt ihm innerhalb eines
Jahrzehnts die Verhinderung des Atomkraftwerks Zwentendorf und des Wasserkraftwerks in den
Donau-Auen.
Bis zuletzt fesselt dieser souverän geschrieben Zeitroman, zumal zu dem wahrhaft bewegten
Leben des charismatischen Forschers auch etliche Zeitgenossen eindrucksvolle Bilder in die
jeweilige Ära eröffnen, so unter anderem Martin Heidegger und Wernher von Braun
wie Lorenz Große ihrer Zunft, aber auch Nutznießer der Chancen, die die Nazis ihnen
boten.
Fazit: ein besonderer Roman, ganz nah an der Wirklichkeit mit einer realen Hauptfigur, die
man nicht hätte eindrucksvoller erfinden können.
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