SIMON PARKIN: DIE INSEL DER
AUßERGEWÖHNLICHEN GEFANGENEN
Schon im Ersten Weltkrieg gab es auf der Isle of Wight in der Irischen See ein großes
Gefangenenlager. Das war eine allgemein übliche Einrichtung für Kriegsgefangene. Was
jedoch am 12. Juli 1940 dort als Hutchinson Camp eröffnet wurde, diente einem
Zweck, der ein dunkles Licht auf auf die damalige britische Regierung wirft.
Die Angst vor einer Invasion durch die Wehrmacht schürte geradezu eine Paranoia vor der
Unterwanderung durch Agenten der sogenannten Fünften Kolonne. Pläne für
Internierungen derartiger Personen gab es längst, im Mai 1940 aber genehmigte der soeben
ins Amt gekommene Premierminister Winston Churchill die entsprechende Verhaftungswellen
feindlicher Ausländer.
Man umschrieb das Vorgehen sogar mit dem infamen Nazi-Euphemismus Schutzhaft.
Die Inhaftierten aber waren neben Menschen, die vor Jahren aus Deutschland emigriert waren
und hier teils hochkarätigen Berufen nachgingen, viele Emigranten, die aus nackter Not
geflohen waren. Oder aber als gefährdete Juden ab November 1938 mit den sogenannten
Kindertransportzügen hierher gekommen warn. Diese Menschen hatten ihren Befreiern
vertraut und wurden über Nacht als feindliche Agenten unter Verdacht
gestellt.
Diese Verhaftungswelle und was ihr über mehrere Jahre folgte, hat der britische
Journalist Simon Parkin in seinem bereits preisgekrönten erzählenden historischen
Sachbuch Die Insel der außergewöhnlichen Gefangenen Deutsche Künstler in
Churchills Lagern ausführlich und sehr lebendig geschildert.
Und Parkin, Mitglied der Royal Historical Society, nutzte bei seinen intensiven Recherchen
vor allem ganz viele authentische Quellen. Es waren dies neben vielen Aufzeichnungen
Inhaftierter direkt aus dem Lageralltag sowie Briefen und der Lagerzeitung The
Camp auch die umfangreichen, erst kürzlich zugänglich gemachten Geheimdienstakten
über diese Vorgänge. Die spannende Lesbarkeit aber rührt daher, dass der Autor einige
der Internierten mit ihrer Viat in den Mittelpunkt stellt.
Insbesondere Peter Fleischmann dient als Musterbeispiel der Absurdität der Internierungen
in stacheldrahtbewehrten Lagern wie Hutchinson Camp mit seinen bis zu 1200 Insassen. Mit
fünf Jahren hatte der jüdische Junge seine Eltern durch einen Verkehrsunfall verloren.
In der Reichsprogromnacht im November 1938 entkam er den Nazi-Attacken auf das Waisenhaus
in Berlin nur knapp.
Doch er hatte das Glück, moch mit einem Kindertransport rauszukommen, obwohl er kurz vor
dem 17. Geburtstag stand. Mühsam schlug er sich dank seiner zeichnerischen Talente in
Lodnon durch. Und wurde dann wie so viele jüdische Emoigranten am 12. Mai 1940 als
feindlicher Auslädner verhaftet unter dem Verdacht, für
Hitler-Deutschland zu spionieren!
Die Verdächtigungen trieben solch absurde Blüten, dass sich später inm Hutchinson Camp
sogar Rabbis unter den Internierten befanden. Deren Internierungen im Übrigen auch noch
mit dem infamen Nazi-Euphemismus Schutzhaft begründet wurden. Der nicht
wiedergutzumachende Makel Großbritanniens aber war bei all dem die schändliche
Vorgehensweise, die klar gegen den seit 1679 im Königreich geltenden
Habeas-Corpus-Grundsatz verstieß. Danach darf nieman ohne Anklage, Prozess und Urteil in
Haft gehalten werden. Solcher Rechte beraubt, wurden die Internierten auch noch von
Offizieren geplündert und unter anderem zunächst in dem Elendslager Warth Mills, einer
verrotteten Spinnerei, kaserniert.
Besser wurde es bei der Verlagerung auf die Isle of Man, denn dort gab es ordentliche
Häuser. Und die Internierten, unter ihnen zahlreiche Koryphäen aus Wissenschaft,
Medizin, Mode und Kunst, richteten alsbald eine funktionierende Selbstverwaltung ein.
Eine der ungewöhnlichsten Gefängnispopulationen der Geschichte, wie der
Autor konstatiert.
Daraus erwuchs ein einzigartiges Lagersystem, zu dem schließlich eine Agrarschule, eine
Technische Schule, ein Lagerradio, ein Lager-Theater und sogar eine Art Universität
hinter Stacheldraht entstanden. Vor allem aber stellt Simon Parkin etliche namhafte
Künstler in den Vordergrund.
Da wurde Dadist Kurt Schwitters produktiv wie nie zuvor und es gab Kunstausstellungen
Andere führten Theaterstücke auf oder es gab hochkarätige Konzerte. Für den jungen
begabten Fleischmann sollte die Betreuung durch Mitgefangene wie Schwitters, Fred Uhlmann
und Ludwig Meidner eine künstlerische Laufbahn eröffnen, die ihnj später unter dem
Namen Peter Midgley zu einiger Berühmtheit führten.
Er verbrachte 15 Monate in Hutchinson Camp, das erst im März 1944 aufgelöst und in eine
Kriegsgefangenenlager umgewandelt wurd.e Ein Lichtblick seitens der britischen
Lagerführung war im Übrigen der Kommandant Captain Hubert O. Daniel, der viele
Aktivitäten der Insassen nicht nur erlaubte sondern auch förderte.
Das Alles fasziniert mit seiner filmreifen Bildhaftigkeit und seinen Fakten, die ja
allesamt authentisch sind und besonders für deutschsprachige Leser ein wenig bekanntes
Randthema der Geschichte des Zweiten Weltkriegs eröffnen.
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