ILKO-SASCHA KOWALCZUK: WALTER
ULBRICHT. DER DEUTSCHE KOMMUNIST
Walter Ulbricht starb vor 50 Jahren und das längst verblasste Bild des einst mächtigsten
Mannes der DDR ist ein absolutes Zerrbild. Der Mann der Fistelstimme ein Popanz und
Handlanger Stalins ohne Charisma?
Das große Manko erklärt sich vor allem daraus, dass fast ausschließlich der Ulbricht
nach 1945 erinnert wird. Und sämtliche Beschreibungen stammen entweder von
natürlichen Gegnern des Kommunistenführers oder von einstigen Mitstreitern,
die sich von ihm abgewandt haben. Außerdem gibt es auch Schriften, die ihn bis heute
beinhart verehren.
Nun aber liegt die erste umfassende wissenschaftliche Biografie unter dem Titel
Walter Ulbricht. Der deutsche Kommunist vor und verfasst hat sie mit dem
Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk ein erwiesener Experte für die Geschichte der DDR. Über
viele Jahre hat er an diesem Opus Magnum gearbeitet und eine schier unfassbare Fülle an
Quellen zum erheblichen Teil erstmals für die Öffentlichkeit ausgewertet.
Aus der Vita des 1893 in Leipzig geborene Sohnes eines Schneiders wurde jedoch weit mehr
als nur dessen Biografie, denn als Homo politicus war er eingebettet in bewegte
Zeitläufte. Die er recht früh selbst in ständig wachsendem Maße mitprägte. Was denn
auch erklärt, warum dieses so gewaltige Werk erst Teil 1 der gesamten Biografie ist und
nur bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und zur Rückkehr Ulbrichts ins besiegte
Deutschland reicht. Der zweiten Lebenshälfte widmet sich im kommenden Jahr ein weiterer
Band unter dem Titel Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator.
Ulbricht wuchs in einem kleinbürgerlichen Viertel Leipzigs, der Wiege der deutschen
Arbeiterbewegung, auf und beide Eltern waren Mitglieder der SPD. Nach einer
Tischlerlehre und den Wanderjahren als Geselle war er als radikaler Kriegsgegner empört,
dass die Sozieldemokraten im Reichstag 1914 die Bewilligung der Kriegskredite mit
unterstützt hatten.
Als Soldat wurde er dann offenbar von Kampfhandlungen verschont, wirkte anschließend aber
um so vehementer mit in den Bruderkämpfen gegen SPD und USPD und war im Janur 1919 bei
der Gründung der KPD dabei. Zunächst noch als Randfigur, doch bald schon fungierte er
als einflussreicher Berufsrevolutionär.
Wegbegleiter Wolfgang Leonhardt bescheinigte ihm hohes organisatorisches Talent, ein
phänomenales Namens Gedächtnis und ein Gespür für Kurswechsel, Im Übrigen sprechen
sein konstanter Aufstieg und das Halten hoher und höchster Machtpositionen gegen die
Schmähungen, Ulbricht habe kein Format und kein Charisma gehabt.
Belegt ist außerdem, dass der sehr belesene Funktionär auch ein guter Redner war
bis hin zu Rededuellen auf Augenhöhe mit Berlins NSDAP-Gauleiter Joseph Goebbels in den
Wahlkämpfen vor 1933. Die Fistelstimme rührte im Übrigen von einer Kehlkopferkrankung
in jungen Jahre her und fand in jenen Zeiten kaum Erwähnung.
Prägender Höhepunkt für den jungen Politiker Ulbricht war bereits im November 1922
seine Teilnahme am 4. Weltkongress der Kommunistischen Internationale in der Sowjetunuion
als Delegierter, wo er unter anderem Lenin, Trotzki und Bucharin erlebte.
Daheim verbreitete Ulbricht in unzählichen Reden und Zeitungsbeiträgen das
kommunistische Weltbild sowjetischer Prägung, wobei er sich absolut moskau-konform
verhielt, und auch später als fanatischer Gefolgsmann Stalins galt. Der Workaholic wurde
1926 Landtagsabgeordneter in Thüringen und wenige Jahre später auch
Reichstagsabgeordneter.
Und dann eröffnet Historiker Kowalczuk eine Seite Ulbrichts, die so gut wie unbekannt ist
und auch stets ignoriert wurde: die des privaten Menschen. Der drei Mal verheiratet war
und gemäß überlieferten Belegen allen Partnerinnen ein kluger und zuweilen lustiger
Partner mit Zartgefühl war. Außerdem bezeichnete ihn Tochter Lotte als liebevollen
Vater. Was aber offenbar vereinbar war mit dem sonstigen Gebaren mit dem Fehlen jeglicher
Nachsichtigkeit und Kompromissbereitschaft im beruflichen, sprich politischen Leben.
Das ab 1933 mit der Machtübernahme der Nazis eine krasse aber erstaunlicherweise von den
deutschen Kommunisten geradezu verschlafene Zäsur erlebte. Der Hass auf die
Sozialfaschisten der SPD hatte die KPD so intensiv beschäftigt, dass sie das
Abhalten der echten Faschisten regelrecht versäumten.
Walter Ulbricht ist in den entscheidenden Phasen allerdings schwer krank und
handlungsunfähig. Und weicht noch 1933 in die Illegalität und ins Exil aus. Wo ihm die
Bildung einer Volksfront misslingt. Und schließlich lebt Ulbricht ab 1938 in Moskau
inmitten der Zeit der Stalinschen Säuberungen.
Der Biograf bescheinigt Ulbricht, kein Held gewesen zu sein inmitten des alltäglichen
willkürlichen Terrors. Zugleich müsse man ihm wie den zahlreichen anderen deutschen
Kommunisten dort zugestehen, dass auch sie in ständiger Lebensgefahr waren. Und sie
hatten keinerlei Befugnisse, auch nur mit dem Apparat zu kommunizieren.
Auch Ulbricht zog es vor zu schweigen und er überlebte nicht nur, er wurde Kopf der
Gruppe Ulbricht, die Stalin noch vor der Kapitulation nach Deutschland
entsandte, um das aufzubauen, woraus nur wenige Jahre später die DDR entstand. Ulbricht
aber wurde nicht nur der erfolgreichste Kommunist in der deutschen Geschichte, bezogen auf
seine historische Bedeutung steht ihm ein Rang wie der Adenauers, Brandts oder Kohls zu.
Zu den Qualitäten dieser Biografie zählt, dass Kowalczuk die Ereignisse und
Entwicklungen aus ihrer jeweiligen Zeit heraus beschreibt und analysiert und nicht vom
Ende her. Zugleich wird Ulbricht zwar nicht reingewaschen, aber angemessen entdämonisiert
und nicht als rundum unsympathisches Scheusal plakatiert.
Fazit: eine ebenso überfällige wie wertvolle Objektivierung eines der prägenden
Politiker des 20. Jahrhunderts. Und diese Aufarbeitung des Zeitraums bis 1945 macht die
Entwicklung danach erst wirklich verstehbar und verständlich.
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