J. M. COETZEE: DER POLE
Chopins Musik steht für Romantik pur. Es sei denn, man spielt sie so asketisch wie der
renommierte polnische Konzertpianist Witold. Kann dieser über 70-jährige Hüne mit der
weißen Mähne dennoch Auslöser einer Affäre mit einer großen, anmutigen Frau von Ende
40 sein?
Dieses völlig unwahrscheinliche Paar steht im Mittelpunkt von John Maxwell Coetzees
jüngstem Roman Der Pole. Wobei schon der Titel seinen Sinn hat, denn der
Nachname Witolds ist für seine Gastgeber in Barcelona so unaussprechlich, dass sie ihn
einfach bei seiner Nationalität benennen.
Eingeladen von einem Kulturkreis, soll ihn Beatriz, eine Bankiersgattin, betreuen. Die
freut sich nicht auf den Abend, empfindet den Künstler als alten Clown und seine karge
Art der Chopin-Interpretation kein bisschen ansprechend. Während sie, die nach
leidenschaftlichen Zeiten in ihrer Ehe in anhaltender Treue und entsprechendem Arrangement
mit ihrem Gatten ein zufriedenen Leben führt, der Begegnung wenig Aufmerksamkeit schenkt,
entbrennt der Pole hellauf für sie.
Und kehrt überraschend zurück nach Katalonien, um in Girona zu unterrichten. Ihr aber
mailt er den wahren Grund, dass er wegen ihr wieder hier sei. Was sie in ihrer von jeher
recht unromantischen Einstellung verwirrt und zugleich zu der Feststellung bringt:
sie hat nicht den Wunsch, dass eine Welle männlicher Leidenschaft über sie
hinwegrollt.
Dennoch fährt sie nach Girona, findet ihn auch weiterhin unattraktiv und beider dürftige
Englischkenntnisse als einzige verbindende Sprache erweisen sich als zusätzliche Hürde
für eine Annäherung. Dennoch gelingt ihm etwas Unmögliches mit dem holprigen
Bekenntnis: Sie sind mein Symbol des Friedens. Und er setzt noch einen drauf,
als er sie einlädt, ihn auf seiner Konzertreise nach Brasilien zu begleiten.
Natürlich denkt sie gar nicht daran, so etwas auch nur in Betracht zu ziehen und
doch breitet sich diese so unbeholfene Anmache unaufhaltsam in ihrem Denken aus. Sie eine
Angebetete, oder wie er es immer wieder zwischen sie stellen wird, dass sie für ihn
Dantes Beatrice sei. Tatsächlich gibt es im folgenden Jahr ein Wiedersehen auf Mallorca
man denke an die Liebe zwischen Chopin und George Sand ebendort! - und dann so
selbstverständlich, als sei es eine Pflichtaufgabe, kommt es zu gemeinsamen Nächten.
Doch es ist eine Affäre, die Beatriz nicht in erotische Wallungen versetzt und sich so
sachlich abspielt, wie er mit seinen kalten Händen Chopin intoniert. Um so unablässiger
ist auch bei ihr der Nachhall, obwohl sie einander nie wiedersehen.
Als sie später von seinem Tod erfährt, reist sie seinen pathetischen Liebesbekundungen
hinterher. Und erlebt in Polen eine Überraschung mit seinem Erbe für sie: 84 Gedichte
auf Polnisch. Die auch in der von ihr bezahlten Übersetzung nur mäßiges lyrisches
Talent offenbaren. Gleichwohl sind sie eine ebenso einzigartige wie rätselhafte Anbetung
für diese Beatriz/Beatrice.
Das ist verwirrend, anspruchsvoll und intellektuell, ein schmaler Roman in der ganzen
Meisterschaft des Literaturnobelpreisträgers fürs Reduzieren, ohne dabei Tiefe, Fülle
und Spannung zu verlieren.
|