STEPHAN OSWALD: AUGUST von
GOETHE
Im Schatten eines großen berühmten Vaters zu stehen, der gar als Genius verehrt wird,
war schon für manchen Sohn eine schwere Bürde. Ein Musterbeispiel dafür ist August von
Goethe (1789-1830), das einzige überlebende Kind des Dichterfürsten mit Ehefrau
Christiane.
Dieser Sohn wurde allgemein so geringgeschätzt, dass es selbst über seine Gattin Ottilie
von Pogwisch mehr Veröffentlichungen gibt als über ihn. Um so ungünstiger war das
unscharfe Bild Augusts, der als weder begabt noch tüchtig eingestuft und
lediglich einmal vor einhundert Jahren mit einer einzigen Biografie bedacht wurde.
Diesem Mangel hilft nun der Literaturwissenschaftler Stephan Oswald mit seiner umfassenden
Biografie Im Schatten des Vaters August von Goethe ab. Der emeritierte
Professor mehrerer italienischer Universitäten geht dabei nicht nur mit psychologischer
Sensibilität vor, er konnte auch auf zahlreiche bisher unbekannte Quellen zurückgreifen,
die ein außerordentlich differenziertes Bild ermöglichen.
Kindheit und Schulzeit in Weimar, das nicht vollendete Jura-Studium in Heidelberg und
Jena, eine Episode als Freiwilliger in den Befreiungskriegen dieser junge Mann war
nicht dumm oder schwach, nur einfach eher durchschnittlich. Aber belastet mit der
Sehnsucht nach dem verehrten, der er insbesondere als Kind so häufig schmerzlich
vermisste.
Doch die Überfigur war nicht nur schwierig, sie kapselte sich auch oft ab und
interessierte sich weit überwiegend nur für sein Werk und sein Schaffen. Als er sein
besonderes Verhältnis zum Landesfürsten Herzog Carl August dazu nutzte, den Sohn in
dessen Verwaltung unterzubringen, war der als Kammerassessor zwar gut untergekommen, blieb
aber offenbar stark unterfordert von seinen Aufgaben.
Während er einerseits wie er es selbst ausdrückte am Gängelband des
fordernden Vaters hing, brachte aber auch die Ehe mit dem Adelsfräulein Ottilie keine
Erleichterung. Von deren Familie ohnehin eher verschmäht, zumal der unehelich geborene
August erst mit zehn Jahren überhaupt legitimiert wurde, war sie eine ungebärdige Person
und trotz dreier Kinder kamen sogar Scheidungsabsichten auf.
August bekannte sich als treuer Sohn, der gleichwohl dem Regime des
übermächtigen Vaters auf Zeit entfliehen wollte. Wie Goethe senior machte er deshalb
1830 eine Reise nach Italien und der mitentsandte Johann Peter Eckermann, enger Vertrauter
des Vaters, begleitet ihn als eine Art Aufpasser.
Doch was immer sich August erträumt haben mag von dieser Reise, es sollte wenig
glücklich enden. Erst erkrankte Eckermann und musste vorzeitig heimreisen. Und wenige
Tage nach seiner Ankunft verstarb der erst 40-jährige August von Goethe plötzlich.
Biograf Oswald untersuchte die allgemeinen Darstellungen der Todesursache, wobei er
natürlich auf den in der gesamten Goethe-Familie üblichen hohen Alkoholkonsum einging.
Aber auch hier gelingt ihm eine veritable Ehrenrettung, denn die Todesursache war weder
dem Alkohol-Abusus noch dem angeblich daraus resultierenden Schlaganfall geschuldet.
Stephan Oswald wertete auch den damaligen Obduktionsbericht aus, nach dem Goethe junior an
einer Meningitis verstarb.
Und es passt zur Tragik im schwierigen Verhältnis zwischen Vater und Sohn, dass nicht
einmal der Name August auf dem Grabstein in Rom vermerkt ist. Dort heißt es lediglich,
hier sei der Sohn des berühmten Johann Wolfgang von Goethe begraben. Der nach dieser
präzisen Korrektur des bisherigen Zerrbildes in einem menschlich deutlich besseren Licht
dasteht.
Fazit: das Bild einer eher geringgschätzten Persönlichkeit wird auf fundierte Weise
geradegerückt und das ist nicht nur sehr verdienstvoll, es liest sich auch sehr
interessant.
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