ANDREAS WUNN: SAUBERE
ZEITEN
Es gab ihn wirklich, den Großvater, der zu Beginn der Wirtschaftswunderjahre ein
Waschmittel erfand, damit reich wurde, dann jedoch alles verlor. Für den bekannten
Fernsehjournalisten Andreas Wunn (u.a. ZDF-Morgenmagazin) war dies der Aufhänger für
seinen Debütroman Saubere Zeiten.
Auch Ich-Erzähler Jakob Auber ist ein gehobener Journalist, der 39-Jährige arbeitet für
eine große Zeitung in Berlin. Von Ehefrau Sophia lebt er getrennt, hält aber die
Verbindung wegen dem Söhnchen Oskar aufrecht. Viel seltener dagegen sind die Kontakte zu
seinem über 80 Jahre alten Vater, einen pensionierten Richter.
Dann jedoch kommt ein Anruf aus dem Krankenhaus in Triere, dass der Vater nach einem
Schlaganfall im sterben liege. Sofort eilt Jakob in seine Heimatstadt und erlebt eine
Überraschung, denn der im Koma Liegende hatte einen schriftlichen Hinweis bei sich. In
seinem Elternhaus offenbart sich sein einstiges Jugendzimmer als ein großes Archiv.
Da liegt sie vor ihm, seine kaum bekannte Familiengeschichte. Es war so kennzeichnend
gewesen, dass der Vater ein schweiger war. Und hatte einen schweren schmerzlichen
Auslöser gehabt, als seine Mutter durch einen Flugzeugabsturz ums Leben kam. Jakob war
eben in die Schule gekommen und von da an hatten Vater und Sohn freudlos und schweigsam
das Haus geteilt.
Nun aber spricht der Vater erstmals zu ihm, auf zahllosen Tonbändern erzählt er von
seiner eigenen durchwachsenen Kindheit. Nach Erinnerungen an Bombennächte im Keller die
Heimkehr von Vater Theodor Auber, dem Drogisten und Tüftler. Und dann der rasante
Aufstieg der Familie, als dessen Erfindung eines Waschpulvers - Auber macht
sauber! - ihn reicht macht.
Doch das Leben in der Villa und mit Chauffeur endet für Hans Auber auf herbe Weise mit
14: er ist quasi im Weg beim feudalen Leben und wird ins Internat an die Mosel
abgeschoben. Die seltenen Briefe der Mutter, das nie gestillte Heimweh, es berührt, wie
der Junge vereinsamt. Und als er auf Besuch zurückkehrt, gibt es da ein Mädchen namens
Bella.
Woher sie kommt und warum sie in der elterlichen Villa wohnen darf, bleibt auch in den
Schilderungen lange ein Geheimnis. Ebenso, warum sie plötzlich verschwunden ist, nach
Hans einmal mit brennender Sehnsucht zu ihr kommen durfte. Was jedoch bald schon deshalb
keine wirkliche Rolle mehr spielt, weil Theodor nicht nur ökonomischen Gründen in die
Pleite rutscht.
Hier aber gilt es klarzustellen: das Alles und noch viel mehr wird höchst kunstvoll und
mit raffinierten Wechseln der Zeitebenen und Handlungsstränge entfaltet. Komplex und doch
so, dass man nie den faden verliert. Auch Jakob, ebenso von Verlustängsten geprägt wie
der bis dahin so fremd gebliebene Vater, tut sich schwer mit den Beziehungen.
Während ihm die schöne und so perfekte Sophie irgendwie zu viel wird, gibt es immer
wieder die Begegnungen mit Teresa. An der Schule waren sie füreinander die erste richtige
Liebe und so ganz haben sie sich nie voneinander getrennt. Trotz fortgesetzter Intimität
weiß jedoch auch Teresa nie, was ihn wirklich bewegt: Weil ich den wichtigen
Menschen in meinem Leben nie erzählt habe, was in mir vorging.
Doch Jakob lernt nicht nur die wahren Vita seines Vaters und dadurch wiederum manches aus
dem eigenen Leben kennen oder besser verstehen. Da sind ja auch die vielen Fotos und vor
allem die Tagebücher des Großvaters, die eine Offenbarung nach all der Sprachlosigkeit
in dieser Familie werden.
Unter anderem mit dunklen Geheimnissen aus der Nazi-Zeit, die dann auch mit Bella zu tun
haben. Und jeweils auf subtile Weise spannend und zugleich sehr authentisch mit viel Zeit-
und Lokalkolorit erzählt werden. Dass diese so persönliche aber auch reale Geschichte
einer Familie eine derartige Sogwirkung entfaltet mit manch bewegenden aber nie
rührseligen Szenen, liegt auch an ihrer souveränen Konstruktion.
Fazit: ein exzellent geschriebener großer literarischer Wurf.
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