PETER STAMM: IN EINER
DUNKELBLAUEN STUNDE
Mit Präzision und lakonischer Melancholie zeichneten sich die bisherigen Romane des
Schweizer Erfolgsautors Peter Stamm aus. Nummer 8 aber überrascht mit erstaunlicher
Leichtigkeit und man ahnt manche Selbstironie darin, wenn er hier einen ebenso scheuen wie
widerborstigen Schriftsteller als Objekt eines Porträtversuchs in den Mittelpunkt stellt.
Der Titel lautet In einer dunkelblauen Stunde und Ich-Erzählerin ist darin die
40-jährige Andrea. Die Dokumentarfilmerin hat es gemeinsam mit Tom, der nicht nur als ihr
Kameramann sondern auch als ihr Liebhaber fungiert, geschafft, Richard Wechsler zu einem
Filmporträt über sich und sein Schaffen zu bewegen.
Ein anspruchsvolles Konzept hat sie aufgestellt, nach dem sie den alten Bestsellerautor in
seiner Wahlheimat Paris, im Schweizer Dorf seiner Kindheit und mit Interviews über seine
Arbeit insbesondere an seinem neuen Roman aufzeichnen will. Doch Wechsler erweist sich als
sehr spröde bis abweisend. Und stellt in Frage, was das alles denn überhaupt soll.
Beim nächsten Abschnitt, den Dreharbeiten in seinem Heimatdorf, lässt er sich dann gar
nicht erst blicken. Andrea sieht ihr Projekt scheitern und sie hat kaum etwas von Wechsler
erfahren oder gar drehen können. Also sucht sie anderswo nach Spuren seines Lebens.
Bei diesen Recherchen in seiner Vergangenheit stößt sie auf seine Jugendliebe Judith,
die noch immer in seinem Heimatdorf lebt, inzwischen als Pfarrerin und zweifache Mutter.
In einem verwegenen schnitt wechseln dann die Ebenen wie einem Film: Richard Wechsler ist
verstorben, Andrea und Judith tun sich zeitweise zusammen und reflektieren jede auf ihre
Weise über ihre Affäre mit dem einstigen Idol. Die Eine über ganz real erlebte
Intimitäten, die andere mit Tom ist es längst aus in fiktiven
Vortellungen.
Allerdings ist Andrea klar, dass Judith die immer wieder in Wechslers Romanen Verewigte
ist, während ihr nur Was-wäre-wenn-Träume mit dem unerreichbaren Romancier bleiben. Und
das bringt sie jetzt eher auf schale Weise durch einen langweiligen Berufsalltag, nachdem
der erhoffte Höhenflug als Dokumentarfilmerin so schmählich zerstoben ist.
Film und Wirklichkeiten haben einfach nicht zueinander gefunden. Das aber erzählt Peter
Stamm so leicht und mit Augenzwinkern wie nie zuvor. Wer seine Romane bisher geschätzt
hat, wird sich vermutlich wundern, enttäuscht sein wird er jedoch ganz gewiss nicht.
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