JODI PICOULT: ICH WÜNSCHTE,
DU WÄRST HIER
Schon jetzt den großen Corona-Roman schreiben zu wollen, ist riskant. Der
US-Bestsellerautorin Jodi Picoult aber ist genau das mit Ich wünschte, du wärst
hier auf beeindruckende Weise gelungen.
In einem Nachwort weist sie auf jene besonderen Katastrophen hin, an deren Ausbruch sich
Millionen noch lange danach erinnern können. Für Diana O'Toole ist dies Freitag, der 13.
März 2020, auch wenn ihr das erst später bewusst wird. Die 29-Jährige arbeitet für das
Auktionshaus Sotheby's in New York City und steht vor dem nächsten Karrieresprung.
Eben will sie einen neuen Coup einfädeln und am nächsten Tag soll es mit Partner Finn
auf eine Reise zu den Galapagos-Inseln gehen. Und Diana hat ein süßes Geheimnis
entdeckt: es gibt da einen Verlobungsring und den entsprechenden Antrag könnte es also
dort geben. Entsprechend hat sie eine feste Erwartung für die Zeit des Urlaubs: den
Startschuss für den Rest unseres Lebens.
Doch schon in der Metro fällt ihr die ungewöhnliche Ruhe im sonst so quirligen New York
auf und dann macht ihr Finn eine bittere Eröffnung: als Assistenzarzt der Chirurgie in
einem der großen Krankenhäuser habe es auch für ihn wegen des neuen grassierenden Virus
den sofortigen Urlaubsstopp gegeben. Bürgermeister DeBlasio hat den Ausnahmezustand
erklärt und rechnet bereits in der kommenden Woche mit mindestens 1000 Todesfällen.
Natürlich will die stets so umsichtige und planvolle Diana sofort alles stornieren, doch
Finn drängt stattdessen sogar darauf, dass sie allein fliegt auf den abgelegenen
Inseln sei sie allemal sicherer vor dem Virus als im zu befürchtenden und sich
tatsächlich apokalyptisch entwickelnden Hotspot der Millionenmetropole. Hinzu
komme, dass er als Arzt mittendrin selbst hochgradig gefährdet sei.
Schweren Herzens reist sie ab, doch Covid 19 bleibt ihr auf den Fersen. Da geht ihr Koffer
auf dem Flug nach Ecuador verloren, so dass sie nur ihrem Rucksack mit ihren persönlichen
Habseligkeiten bei sich hat. Auf der Fähre ist sie die einzige Passagierin und auf
der Insel Isabela dann nicht nur die einzige Touristin. Hier herrscht jetzt ebenfalls der
Ausnahmezustand und auch das Hotel ist geschlossen.
Die studierte Mittelständlerin ist plötzlich aus der gewohnten New Yorker Komfortzone in
die karge Primitivität dieses Eilandes mit kaum vorhandenem Netzanschluss geschleudert.
Da muss sie nun sogar froh sein, dass die alte Insulanerin Albuela ihr eine rudimentäre
Hütte zur Verfügung stellt.
Während immer wieder Einschübe das brachiale Elend der Pandemie in aller Deutlichkeit
schildern, brütet Diana in der von seltenen Mail-Kontakten mit dem bis zur totalen
Erschöpfung im Einsatz stehenden Finn in einem quälenden Nichts. Mag die
außergewöhnliche Natur der Insel auch ihre spannenden Eindrücke haben, das Brüten
drückt und die Heimkehr nach den zwei gebuchten Wochen wird wegen des Ausnahmezustands
vorerst auch verwehrt.
Da bleibt es schließlich nicht bei immer neuen Reflektionen über ihren so interessanten
Beruf in der Kunstwelt, der eigenen Kindheit und dem sehr ungleichen Verhältnis zu den
Eltern. Vor Ort schlägt die Einsamkeit durch und da gibt es den anziehenden Insulaner
Gabriel: aus Sehnsucht wird Verlangen und dann Begierde. Mit einer innigen Leidenschaft,
bis hin zu dem fatalen Schwimmausflug und dem Ertrinken.
Ein beklemmender Moment, dem jedoch ein großer Schwenk folgt, ein Erwachen aus dem
künstlichen Koma, ein Erwachen am Respirator. Und nun wird die so fesselnde Geschichte
endgültig zum Corona-Roman. Mehr aber sei zu dieser gelungenen Volte nicht mehr verraten.
Die ganze Dramatik jener Wochen und Monate mit stapelweise Corona-Opfern in
Massengräbern, ebenso hilflosem wie ausgebranntem Krankenhauspersonal wird hier noch
einmal in Erinnerung gerufen. Und mittendrin diese hervorragend gezeichneten Hauptfiguren
im Strudel der Pandemie. Fazit: Jodi Picoult erweist sich einmal mehr als Meisterin
aktuell bewegender Themen unserer Zeit und Ich wünschte, du wärst hier
dürfte ein Meilenstein unter den fiktiven Werken zur Pandemie sein.
|