HERNAN DIAZ: TREUE
Ein verwegenes Stück Literatur legt Erfolgsautor Hernan Diaz mit seinem jüngsten Roman
Treue vor, denn das besteht laut Inhaltsangabe aus vier Werken von vier
vorgeblichen Autoren.
Deren erster ist mit Verpflichtungen überschrieben und sein Autor heißt
Harold Vanner. In einem mitreißenden Erzählstrom ohne jeden Dialog oder direktes
Interagieren schildert er das seltsame Leben des Benjamin Rask, Sohn eines reichen New
Yorker Tabakhändlers. Nicht nur die behütete aber einsame Kindheit prägt den
intelligenten gehorsamen Schüler, er hat auch an nichts eine wirkliche Freude oder ein
nennenswertes Interesse.
Kurz vor dem Schulabschluss zur Vollwaise geworden, ist es schließlich eine
Wirtschaftskrise, die historische Panik von 1893, die in Benjamin einen
unvermuteten Hunger weckt. Finanzen und Investmentbanking liegen ihm und mit unterkühltem
Ehrgeiz versteht er sich auf höchst luktraives Spekulieren.
Gleichowhl führt er ein fremd wirkendes abstraktes Leben von geradezu auffälliger
Anonymität. Bei dem ihn die grenzenlosen Möglichkeiten, die ihm der stetig wachsende
Reichtum beschert, gänzlich gleichgültig lassen: Jeglicher Luxus war eine vulgäre
Bürde. Und so wurde er zu einem reichen Mann, der die Rolle eines reichen Mannes
spielte.
In der Mitte des Lebens in Europa tobt gerade der Erste Weltkrieg
beschließt er aus genalogischer Verantwortung, eine Ehe in Betracht zu ziehen. In Helen,
einzige Tochter einer begüterten Familie, findet er die adäquate Partnerin. Es wird
erwartungsgemäß keine innige ehe, dafür bewundern sich die Partner für die jeweilige
Intelligenz des Anderen.
Helen sorgt für gehobenes kulturelles Leben in der Villa und pflegt eine sehr gehobene
Gesellschaft. Der sich beide Ehepartner jeweils früh am Abend entziehen. Dann kommt die
brachiale Erschütterung der Weltwirtschaftskrise, die im schwarzen Oktober 1929 durch den
New Yorker Börsensturz ausgelöst wird.
Benjamin Rask ist mit kühlem Kopf und großer Weitsicht wohl der einzige reiche Mann, der
unbeschadet und sogar mit Riesengewinn aus der Krise hervorgeht. Was zu Anfeindungen und
Ächtung führt, wenngleich man ihm nichts Illegales vorwerfen kann. Zugleich begibt sich
Helen in eine Art schuldbewussten Hausarrest und beginnt auf physisch zu leiden.
Und dieser Krankheit folgt bald auch der geistig-psychische Verfall bis hin zum Tode.
Benjamin Rask überlebt diesen Verfall, sein Börsenglück aber endet hier. Wie auch der
Roman, der das alles nüchtern, präzise und mit sprachlciher Eleganz darlegt. Nun folgt
jedoch ein neues großes Kapitel und das hat ein gewisser Andrew Bevel unter dem Titel
Mein Leben verfasst.
Ein verblüffender und zugleich konsequenter literarischer Kniff, denn Vanners
Schlüsselroman wurde 1938 ein großer Erfolg. Was Bevel sehr verdrießt, denn er sieht
darin seine Geschichte erzählt, aber natürlich aufs Schändlichste verfälscht. So setzt
er sich an eine Autobiografie, um die Deutungshoheit über seine eigene Vita
zurückzuerobern. Hier wird nun der Klang ein deutlich anderer, allerdings ist
Ich-Erzähler Bevel eben auch kein Schriftsteller, stattdessen ein selbstgefälliger
Multimillionär von hoher Eitelkeit.
Im Übrigen sieht er das Andenken seiner Frau Mildred der echten Helen
schlichtweg beschmutzt. Doch bei allen Talenten als Finanzjongleur, diese Memoiren bleiben
unvollkommen. Um so stärker unterscheidet sich denn auch der dritte Teil des Romans
davon, denn hier berichtet jetzt die Schriftstellerin Ida Partenza von ihren Bemühungen
als junge Sekretärin im Auftrag Andrew Bevels, das Konvolut seiner Memoiren in eine
druckreife Form zu bringen.
Die Tochter eines italienischen Anarchisten schreibt aber nicht nur von Bevels dreisten
Verdrehungen, von ihr erfährt man auch eines aus weniger luxuriösen Lebensumständen im
New York jener Zeit. Und dann offenbart sie etwas Erratisches als Teil 4: die
Tagebuchaufzeichnungen Mildred Bevels. Bruchstückhaft, rätselhaft und an jene Helen Rask
in ihrer tödlich endenden Kur in der Schweiz erinnernd.
Der in Argentinien geborene und in den USA lebende Hernan Diaz hat damit einen raffiniert
konstruierten Roman mit vier dezidiert unterschiedlichen Teilen vorgelgt, die dennoch
jeweils die Lebensgeschichte des ominösen Finanzjongleurs Andrew Bevel erzählen:
komplex, anspruchsvoll und mit großer Meisterschaft.
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