MAGGIE SHIPSTEAD:
KREISEZIEHEN
Es beginnt mit dem letzten Eintrag ins Logbuch von Marian Graves vom 4. März 1950 in der
Antarktis. In etwa schließt sich das nun folgende Fliegerepos auch dort, gewissermaßen
in einem nicht ganz vollendeten Kreis.
Kreiseziehen heißt denn auch der Titel von Maggie Shipsteads drittem Roman.
Und es sei vorweg gesagt: der ist gewaltig an Umfang und schlichtweg grandios. Dabei setzt
das ungeheuer vielschichtige Geschehen auf dem wasser ein, als erst 1909 der
Passagierdampfer Josephina Eterna getauft wird und dieser 1914 durch eine
Explosion mutmaßlicher Munitionsfracht untergeht.
Kapitän Addison Graves tut dabei Ungeheuerliches, als er mit Waffengewalt ins
Rettungsboot steigt, um seine eben geborenen Zwillinge zu retten. Während ihr Vater
deshalb lange inhaftiert wird und später verschwindet, kommen Marian und Jamie zu Onkel
Wallace. Der anerkannte Maler ist ein schwacher Ersatzvater und so wachsen die Kinder in
Missoula im urwüchsigen Montana sehr frei und ungeregelt auf.
Als Marian mit zwölf erstmals den Überflug eines Flugzeugs und dann auch noch
Luftakrobatik erlebt, ist es um sie geschehen. Am Tag nach dem 15. Geburtstag startet sie
zum ersten Alleinflug. Für ihre Fliegerkarriere geht sie allerdings einen fatalen Pakt
ein, denn ihre Ausbildung zahlt Bradley Macqueen, offiziell Rancher, in Wahrheit aber ein
großer Bootlegger, also Alkoholschmuggler in Zeiten der Prohibition.
Längst ist der Leser bis dahin rettungslos in der großartigen, fesselnden Prosa
gefangen. Doch die Geschichte der Flugpionierin wird ja eigentlich durch Hadley Baxter als
Ich-Erzählerin ausgebreitet. Auch sie verlor ihre Eltern als Baby (durch einen
Flugzeugabsturz!) und wuchs bei einem wenig geeigneten Onkel auf. Der aber in Hollywood
arbeitete und Hadley früh zum Film brachte. Jetzt im Jahr 2014 hat der junge Star einer
Fantasy-Serie jedoch einen dummen Image-Fehler begangen, der sofort in die Krise führt.
Da liegt plötzlich diese Traumrolle der Marian Graves in ihren Händen. Sie soll sie
spielen und sie wird in die Vorbereitungen eingebunden. So recherchiert sie über die 1950
im ewigen Eis Verschollene, die als Erste die Welt entlang eines Längenkreises umrunden
wollte. Und Hadley entdeckt Parallelen zu ihr, denn sie waren beide Produkte von
Verschwinden und Verwaistheit und Vernachlässigung und Flugzeugen und Onkeln.
Während Hadleys Passagen zur entlarvenden Satire über die Verrücktheiten der
Filmbranche werden, taucht die Geschichte Marians tief in die Zeit der frühen Fliegerei
ein. Die bei Marian grenzenlose Hochgefühle auslösten, denn sie ist unablässig
unterwegs für Schmuggelware aus Kanada wie auch zu riskanten Flugabenteuern.
Doch Macqueen fordert seinen Preis und sie heiratet ihn mit 17. Nur mühsam entkommt sie
später seinen Zähmungsversuchen, indem sie erst die erzwungene Schwangerschaft beseitigt
und dann im weiten Alaska verschwindet. Wo man dringend Piloten braucht und nicht viel
fragt. Wen Marian nun am heftigsten vermisst, sind Bruder Jamie und noch mehr Caleb.
Dieser Freigeist und gemeinsame Freund ist längst zur insgeheimen großen Liebe geworden.
Unausgesprochen, körperlich intensiv und trotz langer Unterbrechungen lebenslang. Ein
Zusammenleben aber wäre unmöglich gewesen: Zwei Falken in einem Käfig? Doch
auch Jamies Weg wird hinreißend beschrieben, wie bei ihm offenbar das künstlerische Erbe
seines Onkels für spannende Entwicklungen sorgt. Bis sämtliche Lebensstränge vom
Weltkrieg neu ausgelegt werden.
Der für Frauen wie Marian Graves deren Vorbild Amelia Earhart und etliche andere
historische Heldinnen werden ausdrücklich benannt einen ungeahnten Schub bedeutet.
Weil man Pilotinnen braucht und auch die jetzt 25-Jährige wird nach England geschickt, um
Zubringerdienste er erfüllen. Bis sie nach Höhen und Tiefen in dieser Zeit die Chance
für einen Traum erhält: Flugzeug und Geld für 23.000 Seemeilen Flug zu einer sehr
speziellen Weltumrundung.
Und was dabei in das erst Jahre später im Eis gefundene Logbuch floss, formen Hadley
Baxter und die Crew zu einem Filmepos. Doch zu viel, um all die Handlungsstränge und
Geschichten dieses einzigartigen Romans angemessen zu würdigen: man liest sich trunken an
diesem breiten Erzählstrom und den exzellent gezeichneten glaubhaften Charakteren.
Maggie Shipstead schreibt mit einer zupackenden klaren Sprache mit manch funkelnden
Sätzen und unvergesslichen Metaphern (großes Lob an die Übersetzerinnen!). Man lernt
nebenbei viel über die Pionierzeit der Fliegerei und auch Zeit- und Lokalkolorit wirken
so authentisch, dass man unwillkürlich den Namen Marian Graves googelt sie ist
wirklich nur eine Romanfigur! Fazit: Kreiseziehen ist ein grandioser
literarischer Höhenflug.
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