BERIT GLANZ: AUTOMATON
Tiff ist eine alleinerziehende Mutter, die sich mühsam mit Online-Moderationsarbeit
durchschlägt. Im ausbeuterisch bezahlten Home-Office, da sie nach Erlebnissen in ihrem
früheren Job für ein soziales Netzwerk so schwer traumatisiert ist, das sie sich nicht
mehr aus den eigen vier Wänden wagt.
Deshalb hat sie sich auf diese Aufträge als Automaton als Klickarbeiterin am Computer
eingelassen. Und Automaton heißt auch der Titel von Berit Glanz' zweiten
Roman. Mit ihrer Angst-Störung ans Haus gefesselt, entsteht hier eine moderne,
gewissermaßen digitale Fenster-zum-Hof-Geschichte, als Tiff digital im Rahmen ihrer
Arbeit ein vermeintliches Verbrechen entdeckt.
Ihr jüngster Auftrag kommt von der Firma ExtraEye, die ihren Kunden KI-gestützte
Überwachungsdienste verkauft. Dass die Arbeit in Wirklichkeit (übrigens auch in der
Realität!) häufig von schlecht bezahlten Honorarkräften wie Tiff erledigt wird, ahnen
die Kunden nicht.
Aber auch Tiff kommt erst hinter dieses prekäre Werksgeheimnis - das im Übrigen durch
Kjlauseln im Arbeitsvertrag einschließlich Verschwiegenheitserklärung abgesichert ist
als sie meint, bei einem sehr öden Überwachungsjob ein Verbrechen entdeckt zu
haben. Natürlich fühlt sich Tiff gedrängt, zu ermitteln, doch wie, wenn man nichts
sagen darf?
Allerdings kennt sie ein geheimes Forum, in dem sich Kollegen austauschen. Und dort wird
nicht nur gerätselt und beratschlagt, Tiff beginnt selbst zu ermitteln. Aber in aller
Stille und ausschließlich digital. Was sie nun auch zur zweiten Hauptfigur des Romans
bringt, auch wenn diese Stella ganz real in Kalifornien lebt und ihren Lebensunterhalt
ganz analog mit harter, ebenfalls ausbeuterisch entlohnter Arbeit verdient.
Die Erzählstränge sind in raffiniert unterteilten Kapiteln gesetzt und lassen einerseits
lange viele Rätsel offen. Andererseits baut sich nach Hitchcock-Marnier (Das
Fenster zum Hof!) immer mehr Spannung auf. Und auch, wie die Lebenslinien von Tiff
und Stella miteinander verknüpft werden, wird irgendwann schlüssig. Ist das die moderne
Arbeitswelt: digitale Fronarbeit in klaustrophobischem Ambiente oder analog sich von einem
prekären Job zum nächsten hangeln?
Automaton stellt die natürliche und die digitale und das Arbeitsleben darin
auf zwingende Weise ins Verhältnis zueinander und lässt offen, ob es bei all dem so
etwas wie eine virtuelle Solidarität geben kann.
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