FOLKER REICHERT: FACKEL IN DER
FINSTERNIS
Vor allem in Akademikerkreisen hat Carl Erdmann (1898-1945) noch heute einen großen
Namen. Der ist maßgeblich verbunden mit seinem Opus Magnum Die Entstehung des
Kreuzzugsgedankens. Dem herausragenden Mediävisten hat nun sein Kollege Professor
Dr. Folker Reichert eine längst überfällige Biographie gewidmet.
Fackel in der Finsternis. Der Historiker Carl Erdmann und das 'Dritte Reich'
ist das Werk überschrieben, das auch den Bänden Die Biographie und
Briefe 1933-1945 besteht. Eingangs erläutert Reichert, emeritierter Professor
für Mittlere Geschichte an der Universität Stuttgart, den Titel, der nicht von ungefähr
kommt.
In seinem alljährlichen Brief zum Jahreswechsel an seinen Freund Gerd Tellenbach sah
Erdmann am 1. Januar 1939 dunkle Zeiten anbrechen. Er sprach deshalb von einer Fackel, die
man durch das gegenwärtige Zeitalter der Finsternis - ein Begriff aus seinem
Spezialgebiet, dem Mittelalter hindurchtragen müsse. Er selbst widerstand von
Beginn an sämtlichen Forderungen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik.
Mit tragischen Folgen, wie der Biograph konstatiert: Er riskierte viel, verlangte
wenig und verlor alles. Allerdings lässt Reichert auch keinen Zweifel daran, dass
Erdmann ein schwieriger hochbegabter Mensch mit ausgeprägtem Eigensinn war, der es seiner
Umgebung nie leicht machte, auch der kollegialen und der privaten nicht. Wobei er sein
Außenseitertum offenbar von jung an und bis zuletzt kultivierte.
Bevor Reichert auf die frühe Zeit des gebürtigen Baltendeutschen eingeht, schildert er
das bittere Ende des hochkarätigen Wissenschaftlers, der sich in den späten Lebensjahren
bescheiden mit befristeten Lehraufträgen und Vorträgen durchgeschlagen hatte. Ihn, der
1916 wegen Untauglichkeit nicht am Ersten Weltkrieg teilnehmen durfte, zog die Wehrmacht
1943 als mittlerweile noch weniger tauglichen Mittvierziger noch ein.
Als Dolmetscher konnte man jedoch gebrauchen und in Albanien waren seine Sprachkenntnisse
aus den Jahren in Rom von Nutzen. Den Rückzug gegen Kriegsende überstand er zwar gut,
verstarb aber schließlich bei Zagreb in einem Lazarett vermutlich an Fleckfieber.
Deutlich umfassender und ebenso eindrücklich wie präzise beschreibt die Biographie dann
zunächst die Kindheit in Livland und die Jugend im Harz, beides in gutbürgerlichen
Verhältnissen.
Sein studium der Theologie brach er im Examen ab und wandte sich dem Geschichtsstudium zu
und hier insbesondere Mittelalterstudien, über die er 1925 promovierte. Mal als
Hauslehrer, mal als forschender Wissenschaftler erst in Lissabon, dann für sechs Jahre in
Rom, erarbeitete er die Grundlagen für sein hochkomplexes Hauptwerk. Das noch längst
nicht abgeschlossen war, als er es 1932 als Habilitationsschrift vorlegte.
Das hervorragende Gutachten der Fachvertreter bescheinigte der Arbeit für dieses bisher
wenig beachtete Gebiet erheblichen Erkenntniszuwachs. Doch das war im Herbst
1932 und das Ende der Weimarer Republik nahe. Anlässlich der Machtergreifung der Nazis
las Erdmann nun Hitlers Mein Kampf und äußerte die feste Überzeugung,
das dieser Mann nicht regieren kann.
Und er machte kein Hehl aus seiner Haltung gegenüber den Nationalsozialisten. Was nicht
folgenlos blieb, denn für einen Lehrauftrag an der Universität für das Wintersemester
1934/35 wurde ein Gutachten über den nicht Willfährigen verfasst. Wissenschaftlich sei
er ein vorzüglicher Dozent, in seiner Haltung aber zeige er auf arrogante Weise eine
kompromisslose individualistische Ablehnung des Nationalsozialismus.
Damit war Erdmann auf Arbeiten als Privatdozent und ähnlichem angewiesen und musste froh
sein, für die Monumenta Germaniae Historia (MGH) in Berlin Aufträge zu erhalten. Eine
Emigration allerdings kam nicht in Frage für den Unbeugsamen: das ließ sich nicht
mit seiner nationalkonservativen Grundhaltung vereinbaren.
Immer wieder gibt es tiefe Einblicke ins wissenschaftliche Leben in diesen Jahren und auch
die Ausführungen zu Erdmanns Feinden lesen sich geradezu spektakulär. Ein erheblicher
Teil der Lebensgeschichte beruht dabei auf den vielen Briefen des Intellektuellen. Und
diese Brief füllen, obwohl nur auf die Jahre on 1933 bis 1945 beschränkt, einen ganzen
zweiten Band.
Mangels Nachlass sind von Erdmann selbst keine Briefe überliefert, ohnehin hob er für
sich nur dienstliche Briefe in Durchschlägen auf. So umfassen die zahlreich
nachgelassenen Briefe ausschließlich solche an Kollegen und Familienmitglieder, die diese
von ihm erhalten und aufgehoben haben. Doch während er einerseits wo nötig sogar mit
Hitler-Gruß unterzeichnete, sind viele Briefe nicht nur aufschlussreich sondern dank
seiner spitzen Formulierungen auch vergnüglich zu lesen.
Fazit: eine meisterhafte Biographie, gekrönt durch den umfangreichen Band mit Briefen,
die vor allem in akademischen Kreisen viel Beifall finden dürfte.
|