BILL HANSSON: DIE NASE
VORN
Sehen und Hören mögen die vordergründigeren unserer Sinne sein, der oft weniger
beachtete Geruchssinn aber ist der, der teils lebenslange Erinnerungen speichert. Und das
nicht nur hinsichtlich von Speisegerüchen oder bestimmten Düften, die unvergesslich
sind.
Diesen Phänomenen widmet sich Bill Hansson, Direktor des Max-Planck-Instituts für
chemische Ökologie in Jena, mit seinem Buch Die Nase vorn. Eine Reise in die Welt
des Geruchssinns. Der schwedische Neuroethologe eröffnet manch erstaunliche
Erkenntnisse, wobei sich der Mittelpunkt seiner Forschungen darauf ausrichtet, wie
Pflanzen und Insekten miteinander kommunizieren.
Natürlich findet auch der menschliche Aspekt breite Aufmerksamkeit. So stellt der
Geruchsforscher Studien vor, die trotz umfangreicher Versuche nicht voll belastbar sind.
Wie bei der immer wieder diskutierten Frage hinsichtlich bestimmter Geruchs- oder
Duftwirkungen bei der sexuellen Anziehung. Viel konkreter sind da die Ergebnisse bei den
Mutter-Kind-Beziehungen insbesondere im Baby-Alter. Wobei übrigens häufig auch Väter
deutliche Reaktionen zeigen!
Bei den anderen Probanden überrascht nicht nur der Geruchssinn der Pflanzen, der wichtige
Funktionen erfüllt. Vögeln sprach auch die Wissenschaft lange eine Riechfähigkeit ab,
was sich nach komplexen Experimenten jedoch als Irrtum herausstellte. Schwer
nachzuvollziehen ist auch die große Vielfalt an Gerüchen unter Wasser, weil dem Menschen
schlicht die organischen Voraussetzungen dafür fehlen.
Weitere Kapitel gehen auf Spezies wie Nachtfalter, Hunde, Mäuse, Borkenkäfer und Krebse
ein. Und auf jene Quälgeister, die rein erfolgsmäßig die tödlichsten Tiere
überhaupt sind: die Mücken. Auf spannende Weise wurde hier in schwierigen Experimenten
erforscht, auf welche Ausdünstungen sie am stärksten reflektieren (z.B. Schweißfüße!)
und wie die individuelle Anziehungskraft bestimmter Menschen funktioniert.
Der Wissenschaftler beschreibt auch anschaulich, von welch immenser Bedeutung die
chemische Wahrnehmung sowie die Kommunikation durch Geruchsstoffe für Leben und
Überleben der Organismen ist. Da können für Insekten starke Temperaturverschiebungen
oder CO²-Konzentrationen die natürlichen Lebensabläufe empfindlich stören. Das geht
bis hin zu Artensterben durch Veränderungen der Geruchswelt durch Umwelteinflüsse.
Doch Hansson, der bei dem komplexen Forschungsgebiet zwar nicht ohne manche Fachbegriffe
auskommt aber dennoch anschaulich und unterhaltsam schreibt, hält auch manch
verblüffende Erklärungen für Pänomene bereit, die nicht nur den Laien immer wieder
verwundert haben. Wie die rätselhaften Tode unzähliger Seevögel und Meeressäugetiere,
in deren Mägen Unmengen an Kunststoffresten vorgefunden wurden.
Zur fatalen Fehlorientierung der Tiere sorgt hier das Aroma DMS, das ihnen selbst in
geringsten Konzentrationen den Weg zum geschätzten Nahrungsmittel Plankton weist. Diesen
Duft von Dimethylsulfid aber geben auch viele der in den Meeren umhertreibenden
Kunststoffe ab, die damit zum todbringenden Nahrungsmittelirrtum werden. Fazit: ein
hervorragend gemachtes Sachbuch zu einem zu Unrecht vernachlässigten wichtigen
Naturthema.
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