NGUYEN PHAN QUE MAI: DER
GESANG DER BERGE
Ein Wahrsager prophezeite der zehnjährigen Dieu Lan ein sehr schweres Leben und die
Tochter wohlhabender Bauern erlebt quasi exemplarisch das ganze Elend und Leid Vietnams im
20. Jahrhundert mit. Davon erzählt sie ihrer Enkelin Huong Anfang der 70er Jahre, als der
Vietnam-Krieg noch gnadenlos wütet.
Mit der Zwölfjährigen als Ich-Erzählerin beginnt denn auch Der Gesang der
Berge, die erschütternde Generationsngeschichte, die die renommierte Autorin Nbuyen
Phan Que Mai verfasst hat. Die 1973 und damit zwei Jahre vor Ende des lange währenden
Krieges geborene Que Mai schreibt offen über die gesamte Leidensgeschichte aus der Sicht
der unmittelbar Betroffenen.
Zu Beginn müssen Huong und ihre Großmama nach erneuten schweren
Bombenangriffen der Amerikaner auf die nordvietnamesische Hauptstadt Hanoi im November
1972 in ein Bergdorf fliehen. Huongs Vater ist als Soldat im Dschungel verschollen und die
Mutter hat sich auf die Suche nach ihm begeben. Aus den Bergen heraus beobachten die
Flüchtlinge im Dezember dann das tagelange US-Bombardement mit B-52-Bombern.
Und dennoch betont die zähe Großmutter: Der Krieg zerstört vielleicht unsere
Häuser, aber unseren Mut kann er nicht brechen. Dabei hat sie der Weissagung
entsprechend schon schlimmstes Elend und Drangsal durchlitten. Waren es ab den späten
30er Jahren die japanischen Invasoren, die auch vor öffentlichen Exekutionen nicht
zurückschreckten, starben zwei Millionen Vietnamesen nach Kriegsende an der großen
Hungersnot.
Noch bevor sich das Land aber davon erholen konnte, brachte die kommunistische Landreform
noch schlimmeres Leid über die Bauern. Allen voran solchen mit eigenem Land wie der von
Dieu Lans Familie. Mit hemmungslosem Fanatismus skandierten die Viet Minh: Töte die
bösen Landbesitzer! Was sie nicht nur aufs Brutalste umsetzten wie die
Großmutter der Enkelin nach und nach erzählt, gab es regelrechte Hinrichtungsquoten.
Vertreibung, Flucht, Armut, Hunger, unsägliches Leid wütete allenthalben. Und setzte
sich nun in dem jahrelangen Ringen gegen Süd-Vietnam und dessen westliche Verbündete
ungebremst fort. Zwischen den Zeitebenen wechselnd, führt das von der Enkelin und ihrer
Großmama Geschilderte durch die ganze Bandbreite jener Erlebnisse, die die Autorin zu
diesem Roman vor realem historischem Hintergrund inspiriert haben. Da sind auch am Ende
des Krieges jene Heimkehrer, die seelisch oder körperlich verkrüppelt sind. Da kehrt
Huongs Mutter zwar zurück, doch nach Vergewaltigungen durch Feindsoldaten ist sie quasi
verstummt.
Es ist die Geschichte eines schwer schwer versehrten Landes und Que Mai bedient sich
exemplarischer Charaktere, um der ganzen Skala des Geschehens und des Leides gerecht zu
werden. Was allerdings auch dazu führt, dass die Figurenzeichnung etwas stereotyp bleibt.
Andererseits muss sich der Leser auf eine andere, zuweilen seltsam blumige Erzählweise
aus dieser anderen Sprachwelt einlassen.
Dabei hat der Roman eine Schwäche dadurch erhalten, dass dies das erste Buch ist, das die
vietnamesisch aufgewachsene Autorin auf Englisch geschrieben hat. Auch die Übersetzung
hatte wenig Chancen, die angesichts etlicher Auszeichnungen im Original offenbar sehr
sprachmächtigen Prosa- und Lyrikfähigkeiten Que Mais zum Glänzen zu bringen.
Großartig ist dieser Roman aber trotz mancher eher holperiger Dialoge und poetischer
Ausschmückungen dennoch, denn mit solcher Erzählkraft und dabei schonungslos authentisch
ist die Leidensgeschichte des vietnamesischen Volkes bisher zumindest für westliche Leser
noch nie erzählt worden.
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