UWE WITTSTOCK: FEBRUAR
33
Für die Zerstörung der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als
die Dauer eines guten Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat ausreiste,
kehrte vier Wochen später in eine Diktatur zurück. Mit diesen Sätzen umreißt Uwe
Wittstock den unfassbaren Zivilisationsbruch, der nach der Machtergreifung Hitlers als
Flutwelle von Hass und Barbarentum über Deutschland hinwegfegte.
Februar 33. Der Winter der Literatur, unter diesem Titel hat der
Literaturkritiker eine bittere Chronik jener vier Wochen und zwei Tage verfasst. So lange
brauchte es von jenem unseligen 30. Januar 1933, als Reichspräsident Hindenburg Hitler
zum Reichskanzler ernannte, bis zum Erlass der Notverordnung zum Schutz von Volk und
Staat.
Doch schon in dieser Zeit, bis die wesentlichen Bürgerrechte endgültig außer Kraft
gesetzt waren, tobten die entfesselten Nazi-Kräfte in Gestalt von SA-Horden, SS-Trupps
und Hilfspolizei durch das Land. Um jene Listen abzuarbeiten, die schon längst
geschrieben waren mit all den Namen von Gesinnungsgegnern. Allen voran Literaten,
Verleger, Künstler und Intellektuelle.
Schriftsteller und andere Kunstschaffende wie die Mann-Familie, Bertolt Brecht, Alfred
Döblin oder der besonders verhasste Maler George Grosz konnten unter teils schwierigsten
Bedingungen ins Exil entkommen. Einige berühmte Autoren wie Erich Maria Remarque und
Joseph Roth ergriffen wohlweislich noch am Abend der Machtergreifung die Flucht, während
andere nicht begreifen konnten, wie konkret und unmittelbar die Gefahr für sie war.
Da waren es dann nicht nur scharenweise unliebsame Politiker und Gewerkschafter, die
abgeholt wurden. Wer bei diesen Verhaftungswellen ins Berliner Columbia-Haus
oder andere improvisierte Foltergefängnisse verschleppt wurde, konnte noch von Glück
sagen, wenn er die hemmungslosen Gewaltorgien überhaupt überlebte.
Uwe Wittstock gibt einen sehr nahen Einblick in diese Chronologie des Schreckens. Entlang
der Tage vom 28. Januar bis zum 15. März folgt er den Ereignissen mit vielen Details.
Natürlich diente der Reichstagsbrand vom 27. Februar als besonderes Fanal für den
rasanten Weg in die Rechtlosigkeit.
Der legendären Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 waren schon im März erste lokale
vorangegangen. Andererseits gab es auch jene Kulturschaffenden, die sich den neuen
Machthabern andienten. Wie der Arzt und Dichter Gottfried Benn, der sich in der Akademie
der Künste unterwürfig machte um gar nicht viel später dennoch in Ungnade zu
fallen.
Der Autor konnte teils auf unveröffentlichtes Archivmaterial zurückgreifen für das, was
er ein Tatsachenmosaik nennt. Immer werden zudem Kurzmeldungen über
Tagesereignisse aus dem ganzen Reich aufgeführt, wo es zu Zusammenstößen mit Verletzten
und Toten und auch politischen Morden kommt.
Fazit: ein kompakter Abriss jener Wochen, als aus dem Land der Dichter und Denker eines
der Barbaren und Verbrecher wurde. Ein ganz wichtiges Buch der Erinnerung, ebenso fesselnd
wie zutiefst bewegend.
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