ANDREAS PLATTHAUS: LYONEL
FEININGER
Vor genau 150 Jahren wurde mit Lyonel Feininger einer der ganz Großen der Malerei, dessen
Bilder zum Kernbestand der modernen Kunst gehören, in New York geboren. 50 Jahre seines
Lebens verbrachte der Künstler allerdings in Deutschland, wo er zu weltweiter
Berühmtheit aufstieg.
Doch er sein ein Künstler im Zwiespalt gewesen: zwixehn Tradition und Moderne, zwischen
Ideologie und Inetllekt, zwischen Politik und Kunst. Das stellt Andreras Platthaus im
Vorwort zu seiner großen Biografie Lyonel Feininger, Porträt eines Lebens
fest. Der Historiker und Leiter des Literatur-Ressorts der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung hat bei seinen exzellenten Recherchen das Glück des Tüchtigen auf seiner
Seite gehabt, denn noch vor den Restriktionen durch die Pandemie konnte er die wichtigsten
Archive zu Feininger in den USA aufsuchen.
So beruht diese ebenso detaillierte und faktengenaue wie umfassende Biografie auf der
besonders authentischen Grundlage der unzähligen Briefe, die sich Feininger und seine
Frau Julia über 50 Jahre hinweg schrieben. Carl Leonell Feininger, so sein Geburtsname,
hatte deutsch-Amerikanische Eltern, die beide weltweit als Musiker tourten. Als sie den
Sohn mit eben 16 Jahren nach Deutschland kommen ließen, sollte er dort zum Geiger
ausgebildet werden.
Ein spontaner Sinneswandel und Platthaus sieht sogar Anlass zu Spekulationen über
eine Trotzreaktion des Teenagers führte den talentierten Zeichner jedoch zur
Kunstgewerbeschule. Bald lebte er im damaligen Zeitungsparadies Berlin und entwickelte
sich zu einem frühen Meister der Karikatur. Als ein Star des Genres gewann er mit seinem
an Wilhelm Busch erinnernden Stil solch lukrative Aufträge auch aus den USA, dass er 1901
sogar bereits eine eigene Familie gründen konnte.
1905 aber kam die große private wie auch berufliche Wende im Leben Lyonel Feiningers in
Gestalt von Julia Berg, einer angehenden Malerin. Beide verließen umgehend ihre
jeweiligen Ehepartner und blieben bis zum Tode Feiningers im Jahr 1956 in engster
Verbundenheit zusammen. Und es war Julia, die den Meister der raffinierten Zeichnung, der
insgesamt wohl über 1800 Karikaturen publikzierte, zur Hinwendung zur Malerei bewegte.
Als quasi Spätberufener reüssierte er erst mit über 30 Jahren, weshalb sein malerisches
Gesamtwerk kaum 600 Arbeiten umfasst. Doch der US-Amerikaner, der im Herzen längst ein
Deutscher geworden war, durchlebte in seinen 50 deutschen Jahren wild bewegte Epochen mit
Kaiserzeit, Demokratie und Diktatur.
Den Ersten Weltkrieg überstand er unbeschadet in Berlin und trat 1919 mit dem Bauhaus inj
eine herausragende Ära, die er als Dozent und sogenannter Meister maßgeblich prägte.
Bis ihn die Nazis 1933 aus Weimar vertrieben. 1931 aber erlebte Lyonel Feininger den
künstlerischen Höhepunkt seiner Karriere: zum 60. Geburtstag gab es große
Retrospektiven in Essen und Berlin.
Mit einiger Naivität betrachtete er das Treiben der aufstrebenden Nazis, die ihn schon
vor der Machtübernahme als Entarteten verfemten. Und Andreas Platthaus
beleuchtet auch diese bisher biografisch weitgehend außen vor gebliebene Phase, in der
der so angesehene und weltberühmte Künstler im Deutschen Reich trotz wachsender
Beschränkungen verharrte, obwohl seine Frau als Jüdin sogar direkt gefährdet war.
Als das Ehepaar schließlich 1937 in Feiningers Geburtsheimat heimkehrte, war es für ihn
eher eine Emigration und bezeichnend ist die Aussage seines jüngsten Sohnes Theodore Lux:
Meiner Ansicht nach ist das wichtigste Charakteristikum seines ganzn Lebens und
Schaffens die Tatsache, dass er in Wahrheit nirgendwo zu Haus war.
Auch die späten Jahre des Künstlers schildert der Biograf mit wohltuend kritischem Blick
und zugleich so lebendig und anschaulich, als sei es ein Künstlerroman. Es ist eine
spannende Vita insbesondere in Verbindung mit dem historischen Hintergrund. Da erscheint
es sogar als vorteilhaft, dass hier nicht ein Kunstsachverständiger sondern ein
Historiker und Journalist mit klarer Sprache ans Werk gegangen ist.
Fazit: eine großartige Biografie, die diesem Künstler vollauf gerecht wird und alle
Qualitäten eines Standardwerkes zum Thema aufweist.
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