LEONARD MLODINOW: „STEPHEN HAWKING“


Der britische Physiker Stephen Hawking (1942-2018) gilt als eines der größten Genies der jüngeren Zeit. Da war es natürlich, dass es nach seinem Ableben gleich mehrere fundierte Biografien gab, die sein Leben und Wirken eingehend beschreiben.
Die Biografie von Leonard Mlodinow aber sticht aus mehreren Gründen aus diesen Publikationen heraus und schon der Untertitel lässt erkennen, worin das begründet ist: „Erinnerungen an den Freund und Physiker“. Im Jahr 2003 kontaktierte Stephen Hawking den ihm von alljährlichen Gastbesuchen am Caltech (California Institute of Technology, Pasadena) bekannten Mlodinow, um ihn als Koautor für eine Buchprojekt zu gewinnen.
Hawking hatte das berühmte Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ verfasst. Das war zwar ein Erfolg, doch nur für sehr Sachkundige zu verstehen. Nun sollte eine allgemeiner zu verstehende Neufassung folgen und Mlodinow hatte bereits erfolgreiche Fachbücher aber auch Drehbücher unter anderem für „Star Trek“ verfasst. Vor allem jedoch ist Mlodinow selbst ein hochkarätiger Physiker.
Damit begann eine außerordentliche Zusammenarbeit, die dann auch zu einer intensiven Freundschaft mit vielen intimen Einblicken in das Denken und Fühlen und auch in das private Umfeld Hawkings führte. Wobei das Kennenlernen wie auch die Projektarbeit von besonderer Komplexität war wegen der außergewöhnlichen Lebensumstände des Physikers und Denkers.
Der erhielt bekanntlich 1963 mit eben 21 Jahren die niederschmketternde Diagnose ALS. Diese amyotrophe Lateralsklerose bewirkt eine progressive Degeneration der Motoneurone. Oder einfacher ausgedrückt: nach und nach veröden sämtliche willkürliche Bewegungsmöglichkeiten. Doch hier beginnt bereits die Ausnahmeerscheinung Hawkings, denn statt maximal fünf Jahre bis zum Tod widerstand er dem noch rund 55 Jahre lang.
Das allerdings mit fortschreitenden Einschränkungen fast sänmtluicher Körperfunktionen. Als Hawking Mlodinow erstmals daheim in Cambridge empfing, saß der in einem Spezialrollstuhl, atmete durch ein Stoma am Hals und konnte sich nur durch einen Computer verständlich machen, den er per Muskelzuckungen im Gesicht bediente. Was die Kommunikationsgeschwindigkeit auf sechs Worte pro Minute verlangsamte.
Gleichwohl machte die Arbeit an „A briefer History of Time“ gute Fortschritte. Zugleich kamen sich die beiden Physiker in ihrer „intellektuellen Allianz“ auch menschklich näher. Und Mlodinow ist nun immer wieder auf faszinierende Weise in der Lage, in die Gedankenwelt des Genies Einblick zu geben. Natürlich war Hawking nach der Diagnose ALS in tiefe Depressionen verfallen. Nach einem Jahr aaber, so stellt Mlodinow fest: „Wo manche in seiner Situation Gott gefunden hätten, fand Stephen die Physik.“
Nie habe er eine Spur von Selbstmitleid bei ihm bemerkt, obwohl ihm bewusst war, dass der Tod jederzeit an der Schwelle stand. Ob ihn das frustriert habe? „Meine Behinderung schritt langsam fort. Ich hatte Zeit, mich daran zu gewöhnen.“ Und da war dieser einzigartige Verstand, der nun ganz dafür lebte, den Anfang des Universums zu verstehen: „Das war für Stephen der Heilige Gral“.
Die gemeinsame Arbeit gestaltete sich bei aller Brillanz Hawkings aber zuweilen auch chaotisch, denn manche Charaktereigenschaften machten den Umgang unberechenbar. Die Einhaltung von Abgabeterminen stand zur Disposition, Hawking neigte zu kleinen Provokationen, hatte einen sehr eigenen Humor und war bei all dem anhänglich und verletzlich,. Und über all dem lagen stets die Belastungen durch die Krankheit, die einen ganzen Schwarm von Betreuungspersonal im Haus erforderlich machte.
Die Kooperation aber war trotz all der Ko0mopliaktionen so erfolgreich, dass 2010 als zweiter Weltbestseller der beiden Physiker „Der große Entwurf“ erschien. Die wohl überraschendste Offenbarung dieses klugen Buches dürfte jedoch die Antwort Hawkings sein, als ihn der Freund fragt, welche seiner vielen Entdeckungen, Leistungen und Schöpfungen ihm die Liebste sei: „Meine Kindern.“
Leonard Mlodinow hat diese Erinnerungen voller Freundschaft aber ohne kritiklose Heldenverehrung verfasst. Doch wenn diese Memoiren auch keine Biografie im klassischen Sinn sind, so hat der Autor zur Verifizierung der Vita Interviews mit 15 engsten Freunden, Betreuungskräften und Kollegen durchgeführt und auch Hintergrundmaterial aus den Biografien von Kitty Ferguson sowie von Michael White und John Gribbin mit eingebracht.
Fazit: eine Biografie der besonderen Art zu einer einzigartigen Persönlichkeit. Hervorragend geschrieben, allerdings sollte man zum ganz großen Lesegenuss ein wenig Affinität zur Physik mitbringen.

# Leonard Mlodinow: Stephen Hawking. Erinnerungen an den Freund und Physiker (aus dem Amerikanischen von Monika Niehaus); 268 Seiten; Rowohlt Verlag, Hamburg; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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