HIRAM KÜMPER: DER TRAUM VOM
EHRBAREN KAUFMANN
Die Hanse jeder meint sie zu kennen als Gilde ehrbarer Kaufleute, die über mehrere
Jahrhunderte ein Handelsnetz über den gesamten Nord- und Ostseeraum spannten. Hinzu
kommen die viele Geschichten ihres angeblich größten Feindes, des legendären Piraten
Klaus Störtebeker und seiner Kumpanen.
Tatsächlich sind die Fakten um die Hanse faszinierend, sie sind allerdings teils sehr
viel anders, als im kollektiven Wissen gespeichert. Da stellt Hiram Kümper mit seiner
großen Untersuchung unter dem Titel Der Traum von Ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen
und die Hanse vieles in den historisch belegten Kontext.
Wobei auch der Professor für die Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
an der Universität Mannheim wiederholt einräumen muss, dass die Quellenlage zu manchen
Aspekten recht lückenhaft ist. Derartige Probleme beginnen schon bei der Gründung der
Hanse, denn dafür gibt es kein Datum. Sie begann als loser Zusammenschluss von Kaufleuten
in den eben aufsteigenden Städten in deutschen Landen im späten 12. Jahrhundert.
Ob im mächtigen Köln, in der aufstrebenden Handelsmetropole Lübeck oder anderswo waren
es die Handelsleute leid, von Räubern oder Raubrittern damals häufig dieselbe
Klientel überfallen und ausgenommen zu werden. Erstmals aktenkundig wurde die
Hanse 1282 durch eine Seeblockade gegen die Stadt Brügge. Mag Lübeck auch als Zentrum
dieses Bundes gegolten haben und waren bald auch andere Hafenstädte wie Bremen, Hamburg
und andere Hauptorte, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Hanse nicht nur an
den Küsten reüssierte.
Der sogenannte Hanse-Raum erstreckte sich bis ins Rheinland und nach Westfalen, wo sich
die Salzstadt Soest als Mutter der Hanse rühmt. Auch beschränkten sich die
Handelswege nicht auf Nord- und Ostsee, denn die Binnenschifffahrt war ebenfalls ein
vitaler Teil des hansischen Handels. So führte dieser Köln als wichtiges Anlaufziel für
den Englandhandel zu großer Blüte.
Zugleich entwickelte sich das Machtbündnis der immer selbstbewusster werdenden Kaufleute
und nur solche erhielten Zugang so stark, dass sie es notfalls selbst mit
Königen und Provinzfürsten aufnahmen. Wie 1358, als der Hansetag ganz Flandern mit einem
Embargo belegte, das das Geschäftsleben in der gesamten Provinz zum Stillstand brachte.
Wenn diese europäische Wirtschaftsgemeinschaft dagegen selbst angefeindet wurde, zeigte
sich ein besonderes Phänomen: die Hanse war keine geordnete Handelsgesellschaft, sie
hatte keinen greifbaren Vorstand und war auch keine Gütergemeinschaft im juristischen
Sinne.
So eisern die Mitglieder dieses überaus einflussreichen und auch geografisch sehr
weitgestreckten Konstruktes den Zusammenhalt gegen Dritte gut durchorganisiert ausfocht,
so ungnädig ging man mit jenen Mitstreitern um, die die Geschäfte störten. Das konnte
bis zur sogenannten Verhansung gehen, dem schmerzlichen Ausschluss des
Betroffenen und gegebenenfalls einer ganzen Mitgliedsstadt wie Braunschweig im Jahr 1375.
Es war ein verschworenes Kartell, dezentral organisiert ohne eigentliche Bosse und sehr
pragmatisch in den Moralvorstellungen, denn es zählte einzig das Geschäft. Und Hiram
Kümper stellt das überlieferte Bild des typischen Vertreters als ehrbarer Kaufmann als
ökonomischen Kitsch bloß. Sofern es einen Ehrenkodex gab, war er rein
zweckdienlich und nur auf Effizienz und Wohlstandsmehrung ausgerichtet: Ehrenwert
waren diese Kaufleute vermutlich schon. Aber wohl eher in dem Sinne, in dem sich auch
Mitglieder der Mafia als ehrenwert empfinden.
Von der Entstehung der Kaufmannsorganisation im 12. Jahrhundert bis zum letzten
Hansetag im Jahr 1669, von Handelskontoren bis in Schottland, Finnland und
Polen und bis hin zu quellenmäßig schwach belegten Umtrieben der Vitalienbrüder wird
die Geschichte der Hanse detailliert und zugleich gut lesbar beleuchtet. Insbesondere auch
mit seinen Richtigstellungen und Bewertungen dürfte dieses hervorragend konzipierte
Sachbuch ein Standardwerk zu einem häufig zu sehr verklärten Thema sein.
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