MARY S. LOVELL: DAS
ABENTEUERLICHE LEBEN
Als einen Mann größer als seine Karriere haben wohlmeinenden Kritiker Richard Francis
Burton (1821-1890) bezeichnet. Tatsächlich erscheint die Vita dieses Universalgelehrten,
Abentzeurers, Orientalisten und brillanten Schriftstellers im Gesamtüberblick so
gewaltig, dass man kaum glauben kann, dass all seine Taten und Schriften die eines
einzigen Menschen sind.
Völlig zu Unrecht ist dieser Mann, der offenbar kaum Grenzen kannte, selbst in seiner
britischen Heimat weitgehend aus der allgemeinen Kenntnis verschwunden. Dazu beigetragen
haben ausgerechnet die vielen Biografien, die früher über ihn verfasst wurden, denn wie
schon zu Lebzeiten kursieren da Gerüchte, Diffamierungen und Missverständnisse, die ihn
trotz ruhmreicher Großtaten in Misskredit brachten.
Dieser charismatische Mann mit den 1000 Talenten, der u.a. 29 Sprachen erlernte, war so
unangepasst, selbstbewusst und unfähig, sich Autoritäten unterzuordnen, dass dies seine
Karriere bei Armee und im diplomatischen Dienst immer wieder ausbremste. Am
folgenreichsten für seine in frühen Jahren zunächst heldenhafte
Reputation aber war sein sehr fahrlässiger Umgang mit Gerüchten über ihn und
Anschwärzungen angeblicher Verfehlungen. Er ließ sie aus Geringschätzung unbegegnet und
häufig war er auch schon wieder zu neuen Abenteuern unterwegs, wenn sie daheim
hochkochten.
Um so verdienstvoller erweist sich deshalb die große, umfassende Lebenschronik, mit der
sich Mary S. Lovell renommiert durch Biografien u.a. zu den Churchill zu Jane Digby
und Amelia Earhart mit dieser einzigartigen Ausnahmepersönlichkeit befasste. Die
aber auch dessen ebenfalls außerordentliche Ehefrau mit einschließt. Weshalb der Titel
des monumentalen Werks nun Das abenteuerliche Leben. Eine Biographie von Richard
& Isabel Burton lautet.
Die Autorin geht das werk nicht nur mit immer wieder hinreißender Erzählkunst an, ihre
dreijährige intensive Recherchearbeit sorgte auch für ein ganz neues und dank vieler
erstmals ausgewerteter Primärquellen vermutlich erstmals objektives Bild des Mannes, der
dank Eigensinn und persönlicher Unabhängigkeit bereits als Student in Oxford ein
Außenseiter war.
So hat sich insbesondere in etlichen, teils offenbar schlampig recherchirten Biografien
der Eindruck festgesetzt, Burton sei ein homosexueller Frauenhasser gewesen. Nach Lovells
vielfältig unterlegten Erkenntnissen war jedoch das Gegenteil der Fall. Nachdem der schon
früh auch an orientalischen Sinnenfreuden sehr interessierte junge Offizier im
Kolonialdienst die Gebräuche eingehend studiert und großen Gefallen an den exotischen
Frauen hatte, führte er ab 1861 eine Ehe mit Iasabel Countess Arundell.
Die nach allen Unterlagen physisch und emotional als intensiv und glücklich zu bezeichnen
ist. Schon bei der ersten Begegnung seien beide wie magnetisiert gewesen,
wobei auch die attraktive Frau aus bester alter Familie was lange ein Ehehindernis
war manche strapaziöse Reise mitmachte und ebenfalls mit beachtlichem Erfolg
schriftstellerisch hervortrat.
Ursächlich für die fieberhafte Unrast Burtons war offenbar das Zigeunerleben seiner
Eltern in seiner Kindheit und Jugend. Sein Wissensdurst war unstillbar und er saugte
Wissen auf wie ein Schwamm und war in der Lage, es in brillanter Weise in Schriften
und Büchern wiederzugeben. Schon als junger Soldat der Bombay Army in Indien war er
unfähig zu normalem Dienst und dank seiner einzigartigen Fähigkeiten, selbst
fernliegende Sprachen schnell zu lernen, wurde er ein hervorragender Erkunder und Spion.
Und sein Wagemut führte ihn zu einer legendären halsbrecherischen Aktion: verkleidet als
wandernder Derwisch begab er sich auf die Haddsch nach Mekka und Medina ein absolut
todeswürdiges Sakrileg für einen Ungläubigen! Zu noch mehr Heldenruhm wurde dann seine
Expedition mit John Hanning Speke zum Tanganyika-See, 1500 Kilometer durch unwegsamen
Dschungel unter größten lebensgefährlichen Strapazen.
Krankheiten, schwere Verwundungen in Kämpfen mit Einheimischen wie auch eine bei den
ersten erotischen Studien erworbene Syphilis forderten zwar ihren Tribut,
konnten den von jeder neuen Herausforderung leidenschaftlich Begeisterten nicht von
weiteren Expeditionen abhalten. West-Afrika, Orient, Lateinamerika, der Krim-Krieg waren
Forschungsgebiete meist im Dienste der Royal Geographic Society und nach der
Eheschließung gab es auch Reisen mit Isabel, die nicht im mindesten mit heutige,
Tourismus zu vergleichen sind.
Sie aber ist stets mit Freuden an seiner Seite und dazu passt ein bemerkenswerter Hinweis
in ihrer späteren sehr erfolgreichen Autobiografie über das Zusammenkommen mit Burton:
Ich bin endlich dem Meister begegnet, der mich bändigen kann.
War die Karriere des später von Queen Victoria zum Ritter geschlagenen Burton immer
wieder durch seine vielfältigen Scharmützel mit den Beamten des Empire belastet, waren
ihm als Konsul in Triest mit Isabel an seiner Seite trotz wachsender Gesundheitsproblemen
noch einige erfreuliche und weiterhin sehr produktive Jahre beschieden.
Hier vollendet er auch seine erotischen Studien mit glorreichen Übersetzungen von
Arabian Nights (1001 Nacht) und dem Kama Sutra. Diese Werke
sorgten auch für wirtschaftlichen Erfolg, andererseits trugen sie zum weiteren Ruin
seines Rufs bei. Und es verwundert kaum, dass die Witwe die Kopien der noch pikanteren
Übersetzung von Der parfümierte Garten vernichtete: es herrschte
viktorianische Prüderie samt dem Obscene Publications Act, der zum Beispiel
einen Oscar Wilde ins Gefängnis brachte.
Welch außerordentliche überpralle Leben und Mary S. Lovell hat wahrlich die angemessene
Chronik dazu verfasst. Bildhaft und mit faszinierendem Zeit- und Lokalkolorit fesselnd,
gelingt ihr trotz der unglaublichen fülle des Berichteten und der Details ein souverän
erzähltes Meisterwerk. Richard Francis Burton und Ehefrau Isabel erfahren endlich die
Korrektur der vielen Missdeutungen ihrer beider Leben in dieser nicht weniger als
ultimativen Biografie.
Ein besonderes Lob aber gebührt auch dem österreichischen Übersetzer Alfred Goubran. Er
hat das gewaltige Opus nicht nur exzellent ins Deutsche übertragen er hat diese
längst überfällige Veröffentlichung durch sein zähes Wirken überhaupt erst möglich
gemacht.
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