GEOFFREY PARKER: DER
KAISER
Es gibt eine Vielzahl von Biografien zu Kaiser Karl V. (1500-1558) und dennoch wohl keine
solch meisterhaft recherchierte und verfasste wie die jetzt erschienene von Geoffrey
Parker unter der Titel Der Kaiser. Die vielen Gesichter Karls V.
Der Autor war Professor in Cambridge und Yale und zählt weltweit zu den renommiertesten
Experten zur Geschichte der Frühen Neuzeit. Parker geht im Vorwort selbst auf die Fülle
von Literatur zu Karl V. wie auch den ungeheuren Schatz von Originaldokumenten ein. Doch
betrieb er nicht nur ein intensives Quellenstudium auf dem jüngsten Stand der Forschung,
er bereist obendrein die vielen Schauplätze von Relevanz im bewegten Leben dieses
Herrschers.
Der im Jahr 1500 geborene Karl verlor mit sechs Jahren seinen Vater, so dass er 1519
direkter Nachfolger seines Großvaters Maximilian I. von Österreich wurde, dem Kaiser des
Heiligen Römischen Reiches. Karl hatte eine funiderte Ausbildung genossen und wird als
intelligent, polyglott und mutig beschrieben, ein Mann von allseits gerühmter
charismatischer Autorität, allerdings offenbar auch von erheblicher Gefühlskälte
insbesondere gegenüber Familienmitgliedern.
Maximilian I. hatte den Grundstein für das Habsburger-Reich gelegt, aus dem der überaus
rührige Enkel während seiner 36-jährigen Regentschaft die erste europäische
Hegemonialmacht und ein transatlantisches Weltreich schuf, in dem sprichwörtlich die
Sonne nicht unterging. Ein Kernelement seines Wirkens war dabei lebenslang die fest
Überzeugung, dass er allein die Probleme lösen konnte, vor denen sein Reich stand.
Wobei er sich stets als größter Verteidiger des römisch-katholischen Glaubens gleich
nach dem Papst sah und mit gleich sieben Päpsten focht er so manchen weltlichen
Machtkampf aus. Andere Dauerfeinde waren Frankreich, das aggressiv expandierende
Osmanische Reich und immer wieder auch das Königreich England, während es mit den
Spanischen Niederlanden manch komplizierte interne Konflikte zu bewältigen galt.
Karls Regierungszeit war eine ausnehmend unruhige Epoche, in der außer den weltlichen
politischen Gegensätzen auch noch der religiöse Kampf gegen die Reformation und der
Aufruhr wegen der Lossagung Englands von der Papst-Kirche kamen. Karl V. war jedoch ein
Monarch von ungeheurer Schaffenskraft, der sein unzusammenhängendes Reich ohne wirkliches
Zentrum nicht nur beherrschte sondern es höchst eigenhändig mit Dekreten und Gesetzen
dirigierte.
Vieles gelang und häufig half ihm auch das Glück des Tüchtigen wie im Schmalkaldischen
Krieg gegen das protestantische Bündnis. Da war es dessen Uneinigkeit und nicht eigenes
Geschick, dass er nicht besiegt wurde eine Niederlage hätte im Übrigen wohl das
Ende des Habsburger-Reiches bedeutet. Doch beruhte seine Macht und militärische Stärke
in erheblichem Maße auf den Gold- und Silberlieferungen aus den amerikanischen Kolonien
und zuweilen musste auch dieser wagemutige Herrscher herbe Niederlagen hinnehmen.
Da waren teils sogar ungeschickte oder selbstherrliche Entscheidungen die Ursache, zumal
sich der fanatische Katholik oft verbissen auf seine messianischen Visionen verließt.
Ohnehin reichte seine Selbstüberzeugung deutlich bis zum Narzissmus, wie Biograf Parker
unter anderem unter Hinweis auf die intensive Imagepflege Karls durch eine Autobiografie,
eine Fülle von Porträtgemälden und vieles mehr belegt.
Doch dieser Kaiser, der ein ungeheures Reisepensum hinlegte und als Kriegsherr immer
wieder auch an vorderster Front zugegen war, litt unter zahlreichen Krankheiten vom
Verdauungstrakt über Gicht bis hin zu Hämorrhoiden, aber auch unter dem körperlichen
Raubbau durch Strapazen und unmäßige Genusssucht.
Dies und das unablässige politisch-militärische Ringen um die Vorherrschaft führten
schließlich zu einer solchen physischen und psychischen Erschöpfung, dass er 1555
abdankte und sich in ein klösterliches Refugium in Spanien zurückzog.
Geoffrey Parker zeichnet in dieser Biografie multiperspektivisch und mit faktengestützter
Objektivität das Porträt einer überragenden und dauerhaft prägenden
Herrscherpersönlichkeit, die die politische Gestalt Europas auf Jahrhunderte
vorzeichnete. Dass sein Sohn Philipp II. diese unglaubliche Lebensleistung ebenso wenig
wiederholen konnte wie weitere Nachfahren, lag allerdings teils auch in der speziellen
Form von Karls Heiratsimperialismus begründet: einer durchaus erfolgreichen aber maßlos
überdehnten Politik von familiären Verbindungen als Ersatz von Kriegen, die mit ihrer
Inzucht zu erheblichen dynastischen Missständen führte.
Fazit: eine so profunde und bei allem Faktenreichtum spannend zu lesende meisterhafte
Biografie, dass sie als non-plus-ultra und Standardwerk zu diesem Thema gelten dürfte.
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