DANIEL MELLEM: DIE ERFINDUNG
DES COUNTDOWNS
Der berühmte Filmregisseur Fritz Lang nannte Hermann Oberth (1894-1989) seinen
Weltraumprofessor. Als solcher verpflichtete er den Visionär 1929 für seinen
Film Frau im Mond, um dafür zu Werbezwecken eine echte Rakete zu bauen. Ganz
nebenher entstand dabei die Idee, deren Start per Countdown auszulösen.
Die Erfindung des Countdowns lautet nun auch der Titel von Daniel Mellems
Debütroman. Der promovierte Physiker hat ihn allerdings so nah entlang der realen Vita
des Raumfahrtpioniers geschrieben, dass er in weiten Teilen eher den Status der Nonfiktion
erfüllt. Im Übrigen erzählt der Autor nicht nur in chronologischen Sprüngen, er tut
dies auch konsequent so, dass die Kapitel im Countdown bis auf Null heruntergezählt
werden.
Zunächst lernt man Oberth als achtjährigen Sohn eines Chefarztes kennen. Die Familie
zählt zu den Siebenbürger Sachsen. Jules Vernes Reise um den Mond und das
Teleskop des Vaters machen den ungebärdigen Jungen ganz früh zu einem
Raumfahrtenthusiasten. Und er ist experimentierfreudig bis hin zum misslungenen Versuch
mit einer Feuerwerksrakete auf dem Friedhof.
Im Ersten Weltkrieg dient er als Sanitätsfeldwebel und ersinnt nebenher das Prinzip einer
ersten Flüssigkeitsrakete. Die er 1917 den für moderne Technik stets offenen Deutschen
anbietet. Doch sie verstehen die großen Möglichkeiten damit nicht: Die Deutschen
hätten gewinnen können, aber sie glaubten ihm nicht. Stattdessen zerbricht an der
Niederlage auch die k. und k. Monarchie und Oberth findet sich nach deren Zerschlagung als
sogenannter Volksdeutscher in Rumänien wieder. Mit weitreichenden Folgen für sein
weiteres Leben.
Obwohl seit 1918 mit Tilla verheiratet und bald Familienvater, studiert er dann in
Deutschland Physik. Mit wegweisenden raketen- und raumfahrttechnischen Darlegungen fertigt
er eine Dissertation. Alles aus der Theorie entwickelt und genau das wird zum Grund für
die Ablehnung mangels Experimenten. Es gibt nur die wohlwollende Empfehlung einer
Veröffentlichung als Buch.
Dieses Buch unter dem Titel Die Rakete zu den Planetenräumen stößt auf viel
Resonanz. 1924 erscheint mit Oberths Beteiligung das visionäre Werk Der Vorstoß in
den Weltenraum von Max Velier, der 1927 der Verein für Raumfahrt
gründet. Und schließlich Oberths großzügig honorierte Mitarbeit an Fritz Langs Film.
Dabei entsteht nicht nur die erste wirkliche Flüssigkeitsrakete, der Physiker lernt dabei
auch spätere Weltraumpioniere wie Wernher von Braun und Rudolf Nebel kennen.
Gleichwohl geht es für Oberth auf Jahre nicht weiter voran und er fristet ein mäßig
erfreuliches Leben in seiner bis zuletzt spröden Ehe im heimischen Schäßburg als
Gymnasiallehrer. Doch er kann das Grübeln nicht aufgeben und in seinem Frust sieht er die
Rakete auch als Waffe. In seiner naiven politischen Weltsicht könnte sie sogar
friedensstiftend sein.
In eindrücklichen Passagen wird Oberths Haltung zu den Nazis und dafür aufgefächert,
warum er für sie arbeiten will. Das gipfelt in einem heftigen Disput mit Sohn Julius, der
ihm vorwirft: Du baust also eine Waffe für Hitler. Und endlich folgt der Ruf
aus Berlin zu einer Forschungsprofessur. Die jedoch ebenso aufs Abstellgleis führt wie
1941 der von Wernher von Braun ausgesandte Ruf an die Heeresversuchsanstalt Peenemünde.
Unter dem Decknamen Fritz Hann wird Oberth Zeuge der Entwicklung seiner
Flüssigkeitsrakete A4 der späteren V 2 und des ersten echten
Weltraumflugs, als die Rakete 90 Kilometer in die Stratosphäre aufsteigt. Für Oberth
wird es trotz seiner Würdigung als großer Impuls- und Ideengeber eine frustrierende
Zeit, denn er bleibt bis zuletzt mit all seinen neuen, fundamental wegweisenden Ideen aufs
Abstellgleis verbannt.
Der Roman widmet sich dann schweren Schicksalsschlägen, als zwei der vier Kinder im Krieg
umkommen, und der harten Nachkriegszeit, in der Oberth nicht einmal sein Beruf als
Gymnasiallehrer geblieben ist. Du bist kein Wissenschaftler mehr. Du bist jetzt
Gärtner! stellt die verbitterte Tilla fest. Dahin haben dich deine Deutschen
gebracht, denen du den Sieg schenken wolltest. Und Oberth denkt an das Zitat eines
Kollegen aus Studentenzeiten, dass die Deutschen das Volk der großen Taten und der
kleinen Seele sei.
Und dann die späte Wende, als ein Care-Paket von Wernher von Braun aus den USA kommt. Der
dort in seinem Metier gefeierte Raketenforscher holt Oberth zu sich, wo er endlich richtig
arbeiten und Neues entwickeln kann. Er erlebt den Triumph von Brauns mit, der 1958 dem
sowjetischen Sputnik einen US-Satelliten entgegensetzen kann. Hermann Oberth geht dennoch
zurück in die Heimat, wo er Ehrungen erfährt, aber auch mit wirren politischen Thesen
bis hin zum Beitritt zur rechtsextremen NPD nicht nur Angriffe von Ehefrau Tilla auslöst.
Es ist ein holpriges Leben, das dieser widersprüchliche Utopist führt und doch wird dem
Pionier eine letzte große Würdigung zuteil: er wird Augenzeuge, als im Juli 1969 die
Saturn V in den Himmel steigt zur ersten Mondlandung von Menschen. Viele seiner Ideen bis
hin zu der Mondfähre für die Astronauten sind darin eingeflossen.
Fazit: die fesselnde Chronik des Lebens eines großen Theoretikers, der sich stets mit der
Praxis schwertat und dennoch ein legendäres Erbe hinterließ. Geschrieben ist das mit
schnörkelloser Prosa und spürbar mit der nötigen Kenntnissen aller wissenschaftlichen
Fakten.
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