ELLA BLIX: WILD SIE
HÖREN DICH DENKEN
Vier jugendliche Straftäter in einem streng geführten Resozialisierungscamp, die sich
unter allerlei Schwierigkeiten zusammenraufen müssen. Wer solch einen Ausgangspunkt für
einen spannenden Jugendroman für abgedroschen hält, der kann sich nicht vorstellen,
welch eine grandiose und im Nu fesselnde Geschichte Ella Blix aus genau dieser
Konstellation gemacht hat.
Hinter dem Namen verbirgt sich das Autorinnenduo Antje Wagner und Tania Witte, die für
Realismus beziehunsweise Mystik bekannt sind. Der Titel dieses Romans lautet Wild
Sie hören dich denken und so mysteriös das klingt, so mysteriös entwickelt
es sich auch mit unentrinnbarer Sogwirkung. Eingangs werden die Vier eingeführt und wie
in der weiteren Geschichte wird mit hervorragendem dramaturgischem Effekt aus jeweils
wechselnden Perspektiven erzählt.
Noomi ist 15 und fällt durch ihre ungewöhnlichen Augen auf, denn die sind orangefarben.
Den 14-jährigen ziemlich schweigsamen Ryan kann man sich kaum als Kriminellen vorstellen.
Allerdings auch bei der 15-jährigen Olympe mag man kaum glauben, dass ihr Hauptvergehen
das Hacken der Bundesbank sein soll. Der sehr attraktive Flix schließlich hat mit seinen
17 Jahren ebenfalls eine sehr spezielle Vergangenheit.
Alle Vier kommen aus Berlin in dieses abgeranzte ehemalige FDGB-Lager mitten
in den Wäldern des Elbsandsteingebirges. Resozialisiert werden sollen sie hier und die
herrische Camp-Leiterin macht sofort klar: wer nicht spurt, riskiert das Absitzen seiner
Strafe im Knast. Die Regeln sind unbequem und das Miteinander des Quartetts hakelt
gründlich. Jeder hat ganz dunkle Geheimnisse, die sich erst ganz allmählich
herausschälen und echte psychische Belastungen offenbaren.
Sechs Wochen sollen sie hier arbeiten, das karge Camp mit den Komposttoiletten aufmöbeln,
denn das Motto lautet Arbeit, Betreuung, Natur. Doch nur drei des Quartetts
sind hier, weil sie bei kriminellen Delikten erwischt wurden. Noomi dagegen hat diesen
Aufenthalt mit einer scheinbar unsinnigen Straftat bewusst herbeigeführt um genau
hierher zurückzukommen.
Vor einem Jahr weilte sie in diesen Wäldern zu einem Sommeraufenthalt ihrer Klasse und
für einen ganzen Tag war sie da verschwunden. Als man sie auf einem Felsvorsprung fand,
hatte sie Blut an den Händen und war völlig derangiert. Aber bis auf einige
unverständliche Erinnerungssplitter liegt dieser ausgestanzte Tag völlig im
Dunkeln. Und da sind diese Dinge, die sie seither immer wieder tut, ohne sie zu verstehen.
Aber auch sonst geht es im Camp nicht mit rechten Dingen zu. Mal verschwinden Sachen, mal
scheint es seltsame Verhaltensweisen seitens der Tieren zu geben. Für die besonders Ryan
empfänglich ist, denn Blicke waren für ihn wie Berührungen. Und solche
spürt er jetzt aus der Tiefe des Waldes. Hinzu kommen Zwischenfälle, die ebenso
überraschen wie die bruchstückhaften Enthüllungen aus der Vergangenheit der
Jugendlichen.
Packend und immer unheimlicher spitzt sich das Geschehen zu. Und dann ist da noch X, ein
Ich-Erzähler mit knappen Einschüben, von dem man nicht weiß, wer oder was er ist.
Immerhin sorgt es für erste Gänsehauteffekte, wenn X feststellt: Diese Gruppe ist
schlau. Schlau ist gut. Die Jagd hat begonnen. Spätestens von hier ab verbietet
sich aber auch, noch mehr von der atemberaubenden Entwicklung der Geschichte zu verraten.
Schräg und abgefahren ist sie mit Mystery im Wortsinne, was aber hinreißend erfunden ist
und sich auf fesselnde Weise entfaltet. Das Alles wäre jedoch nur halb so überzeugend
ohne diese exzellenten, psychologisch tiefenscharfen Charakterzeichnungen sämtlicher
Protagonisten. Bleiben abschließend zwei Dinge festzuhalten: dieser absolut filmreife
Thriller ist auch von der Sprache her ein echter Genuss und zweitens nicht nur für junge
Leser ab etwa 14 einer dieser Schmöker , die man nicht mehr aus der Hand legen kann
selbst anspruchsvolle erwachsene Freunde von Hochspannungsliteratur werden
begeistert sein.
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