JENS ROSTECK: DIE VERWEGENE
JEANNE MOREAU
Jeanne Moreau (1928-2017) zählt zu den größten Legenden des europäischen Films, sie
stand für Meilensteine der Kinogeschichte und spielte unter vielen großen Regisseuren
unter anderem der Nouvelle Vague und des Autorenkinos. Unter dem Titel Die verwegene
Jeanne Moreau hat nun Jens Rosteck die erste umfassende deutsche Biographie seit
ihrem Tod herausgebracht. Trotz intensiven Quellenstudiums musste aber auch der versierte
Musikwissenschaftler und Kulturhistoriker sich dabei in den Grenzen beschränken, die ihre
Zeitgenossen festgestellt hatten: egal, ob vor oder hinter der Kamera, im Alltag wie auf
der Leinwand - zeit ihres Lebens wusste man nie so richtig, woran man bei ihr
war.
Doch es war ja gerade diese sinnliche Entrücktheit und dieses verloren Wirkende, das sie
mit diesem zu ahnenden dunkel verborgenen Geheimnis umgab und mit unberechenbaren Nuancen
zu einer ebenso kühlen wie höchst anziehenden Geliebten machte. Undurchsichtig und dabei
verlockend waren wohl die treffendsten Attribute und diese Wirkung holt Rostek anhand
ihrer vielen, oftmals herausragenden Filme heraus.
Eingangs umreißt er jedoch Herkunft und junge Jahre Moreaus mit dem strengen,
arbeitswütigen und dennoch wenig erfolgreichen Vater Anatole und ihrer Mutter Kathleen.
Zehn Jahre jünger als er, musste die englische Tänzerin wegen des Fehltritts
ihre Karriere aufgeben und den Mann vom Land heiraten. Ich war kein
Wunschkind, stellte Jeanne Moreau dazu fest, zumal die Eltern quasi in Dauerkrise
lebten und die frustrierte Mutter ihr das Gefühl gab, an ihrer Misere schuld zu sein. Um
so heftiger dann nach zehn Jahren als Einzelkind der Verrat der Mutter, als
Jeanne eine kleine Schwester bekam.
Pleiten, der Krieg und karge Zeiten folgten, doch in diese Zeit fiel im März 1944 der
schicksalhafte Theaterbesuch der Antigone: die Theaterschauspielerin Jeanne
Moreau war geboren. Und sie schaffte es mit viel Talent und Fleiß bereits mit 19 zur
Comédie Francaise und mit 20 zur ersten Filmrolle. Doch auch sie hatte dann ihren
Fehltritt - Sohn Jerome vom Kollegen Jean-Louis Richard wurde 1949 am Tag nach
der eiligen Hochzeit geboren.
Wenig erfährt man vom Verhältnis zwischen ihr und dem Sohn, nur dass sie nie ein Kidn
wollte: Es ist nun mal nichts Mütterliches an mir. Um so mehr solches einer
Femme fatale oder einer sinnlichen Tragödin, deren Filmkarriere 1957 einen ersten
Höhepunkt hatte, den Kultfilm Fahrstuhl zum Schafott. So wie sie hier zur
Ikone der Nouvelle Vague aufstieg, beschreibt Film-Kenner Rostek auch den weiteren Weg
anhand der Kette unvergesslicher Filme.
Ob Jules und Jim, ob Mademoiselle oder Die
Ausgebufften, immer wieder waren auch Grenzüberschreitungen nicht nur wegweisender
Regisseure dabei, sondern auch die stets mutige Tabubrecherin Jeanne Moreau. Die Namen
sind Legende und reichen von Tony Richardson über Louis Malle und Louis Bunuel bis hin zu
Francois Truffaut und Orson Welles, um nur einige zu nennen. Da bleibt es bedauerlich,
dass über ihre vielfachen Beziehungen mit etlichen von ihnen oder mit Kollegen
bemerkenswert wenig ausgeführt wird.
Rosteck geht auf die bis ins Alter aufrecht erhaltene Theaterkarriere mit umjubelten
Auftritten ebenso ein wie auf die sonst weniger beachteten aber interessanten Ausflüge
ins Chanson-Fach ein. So bleibt eher der Eindruck einer ausführlichen Hommage als der
einer Biographie, denn vieles von der beeindruckenden Persönlichkeit dieser
Schauspieler-Ikone bleibt dabei gewissermaßen auf der Leinwand und damit zweidimensional.
|