DANIEL IMMERWAHR: DAS
HEIMLICHE IMPERIUM
Die USA als imperialistisch zu bezeichnen, würde zumindest außerhalb der Weltmacht auf
wenig Widerspruch stoßen. Aber ein Imperium wie etwa einst das britische oder
vorübergehend das japanische?
Dass die Vereinigten Staaten bei genauerer Untersuchung tatsächlich ein solches sind,
belegt der Historiker Daniel Immerwahr mit seiner großen Analyse unter dem Titel
Das heimliche Imperium. Die USA als moderne Kolonialmacht. Schon anhand einer
die realen geografischen Flächen umfassenden Karte erweist sich der Bundesstaat als ein
pointillistisches Imperium.
Auf diesem Flickenteppich sieht man nicht nur die Landmasse zwischen Atlantik und Pazifik,
denn dazu gehören seit 1959 auch die als Bundesstaaten eingereihten Alaska und Hawaii.
Aber je nach Altern der Karte noch viel mehr, nämlich die Philippinen, große Inseln wie
Puerto Rico und Guam sowie zahlreiche kleinere Archipele und unbewohnte Eilande.
Allgemein gebräuchlich und dem Normalbürger geläufig aber ist die sogenannte Logokarte,
die den bekannten Block des Hauptlands und oft daneben ausgewiesen Alaska und Hawaii
zeigt. Immerwahr, Geschichtsdozent an der Northwestern University in Illinois, erläutert
zunächst die Schritte des aufstrebenden Staates im 19. Jahrhundert. Die mit dem ominösen
und wenig beachteten Guano-Imperialismus begannen, der mit dem Guano Islands
Act 1856 Gesetzeskraft erlangte. Die Gier der Landwirtschaft nach dem wertvollen
Düngemittel Vogelkot führte dazu, dass die USA bis Ende des Jahrhunderts Anspruch auf
insgesamt 94 solcher Inselchen erhoben.
Der eigentliche Imperialismus aber ging einher mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg, die
die junge Großmacht 1898 mit klaren Hintergedanken vom Zaun brach. Der Sieg brachte die
Herrschaft über Spaniens letzte große Kolonien Kuba bald bis auf den
berüchtigten Militärstützpunkt Guantanamo in eine Scheinunabhängigkeit entlassen
sowie Puerto Rico und die Philippinen.
Wobei das pazifische Inselreich sofort vom Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien in einen
bis 1913 dauernden gegen die neuen Herren führte. Ein blutiges Ringen einschließlich
etlicher Massaker, das rund 750.000 Einheimische das Leben kostete. Der Bestand aller
Neuerwerbungen erbrachte damals den offiziell kaum benannten Umstand, dass bei der
Volkszählung von 1940 in den sogenannten Außengebieten mit 19 Millionen
eingemeindeten US-Bürgern rund ein Achtel der damaligen US-Bevölkerung quasi
außerhalb der eigentlichen USA lebte.
1946 entließen die USA die Philippinen aus durchaus nicht selbstlosen Gründen in die
Unabhängigkeit. Allerdings sicherten sie sich Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte
auf 99 Jahre. Was ohnehin eine Spezialität der US-Politik ist; gleich zu hunderten gibt
es solche über den gesamten Globus verteilten Militärbasen.
Den wenigsten US-Bürgern bekannt sein dürfte die Existenz eines eigenen Kolonialamtes,
allerdings handelt es sich bei der Division of Territories and Island
Possessions ohnehin nur um eine kleine, unbedeutende Behörde. Doch auch der wahre
Status der Karibik-Insel Puerto Rico mit ihren drei Millionen Einwohnern ist nur etwa der
Hälfte der US-Bürger bekannt: sie haben einen US-Pass und jederzeit freien Zugang zum
Hauptland.
Vollwertige US-Bürger aber sind sie bis heute nicht. Ihre Insel hat seit 1950 den wenig
griffigen Status eines Commonwealth, ist jedoch kein US-Staat und seine
Bürger haben auch kein Wahlrecht auf dem Festland. Dabei wurden die Puerto Ricaner nicht
nur über Jahrzehnte politisch und wirtschaftlich vernachlässigt, man benutzte sie in
massivem Umfang als Versuchskaninchen für medizinische Forschungen.
Daniel Immerwahr beschreibt diese intensiv verschwiegene und durchweg unrühmliche
Geschiuchte des US-Imperialismus ebenso lebendig wie anschaulich. Er bietet dabei
faktengestützte Analysen, die die stolze Weltmacht mit ihrem lauthals postulierten
Anspruch als demokratische Heilsbringerin nicht unbedingt sympathischer macht.
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