GUNNAR DECKER: ERNST BARLACH -
DER SCHWEBENDE
Über Ernst Barlach (1870-1938) gibt es umfangreiche Literatur, doch eine Biografie stand
erstaunlicherweise aus. Nun hat sich mit Gunnar Decker ein preisgekrönter Meister des
Genres dem Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller gewidmet.
Ernst Barlach. Der Schwebende lautet die Überschrift zum Werk über ein
seltsam stilles, zurückgezogenes und gleichwohl bewegtes Leben. Schon eingangs lässt der
Biograf keinen Zweifel daran, dass der Arztsohn, der seinen Vater früh verlor, ein
melancholischer, schwieriger Mensch war, der mit anderen Menschen fremdelte und als
kauziger Eigenbrötler galt.
Als rätselhaften aber auch wehrhaften Alleingeher charakterisiert Decker ihn und
resümiert am Ende seines Prologs: So wird der Schwebende Engel zum
Symbol seiner Existenz: erdschwer und federleicht zugleich. Ein Fall von Magie.
Schon früh wird sein Talent erkannt und gefördert und bereits 1901 arbeitet er als
freischaffender Künstler. Die große Wegscheide seines Lebens wird jedoch erst 1906 eine
Russlandreise.
Insbesondere für die frühen Jahre macht Barlach es dem Bniografen leicht, denn bis etwa
1910 erzählt er selbst autobiografisch aus seinem Leben und führt danach immerhin noch
Tagebuch. Noch wertvoller aber erwiesen sich die über 2200 bis heute bekannten Briefe des
fleißigen sChreibers. Der im Übrigen neben dem bildnerischen Werk in den 20er Jahren ja
auch mit Theaterstücken wie Der tote Tag durchaus einige Erfolge erzielte.
Viele Rätsel gibt der bewusste Außenseiter dennoch auf, denn der Expressionist ist auch
ein Mystiker und kämpft mit dem dunklen Spagat seiner inneren Zerrissenheit. Immer wieder
sprach er selbst von Ohnmacht, innerer Entfremdung und Ängsten, um sich dann wieder als
Ekel von ausgesuchtem Sendungsbewusstsein zu geben. Dieses Ringen um elementarste
Empfindungen floss auch in seine Werke ein.
Doch nicht nur in seinem Schaffen war er stets ein Schwieriger, denn auch seine
zwischenmenschlichen Beziehungen waren durchweg kompliziert und teils wenig
sympathieheischend. Sei es sein unleidlicher Kampf um seinen unehelichen Sohn Klaus
mit dem er dann wenig anzufangen wusste noch seine Freundschaften und
Partnerschaften mit manch fragwürdigen Verhaltensweisen.
Um so großartiger dagegen vor allem sein bildnerisches Schaffen, das ihm zeitweise
deutliche Erfolge einbrachte wie die großen Ehrenmale zum Ersten Weltkrieg in Kiel und
Magdeburg. Wo dann die Tragik seines Lebens endgültig mit dem Heraufziehen der Nazis
Einzug hielt. Er bezeichnete sich selbst als politischen Dilettanten und nur
so wird sein Schlingern und Scheitern in den kulturpolitischen Ränkespielen des Dritten
Reichs verständlich.
Eingangs von Goebbels noch wegen seiner Kunst der nordischen Moderne scheinbar
gehuldigt, landet er trotz seiner Unterschrift unter die Ergebenheitsadresse von
Künstlern an Hitler im Jahr 1934 besonders heftig unter den Vorwurf der entarteten
Kunst. Da bleibt es nicht einmal bei öffentlichen Schmähungen und Arbeitsverboten,
Barlach fürchtet sogar um sein Leben.
Und sein schon früh schwaches Herz das er zudem mit viel Rauchen und Alkohol
malträtierte versagte im Herbst 1938. Hunderte seiner Werke waren zu dem Zeitpunkt
bereits aus der Öffentlichkeit entfernt und teils vernichtet worden. Da sind die
Schlusskapitel dieser Biografie von besonderem Interesse, denn sie widmen sich der
späteren Bewertung Barlachs in DDR und BRD.
Fazit: trotz des etwas schwergängigen Schreibstils ein fesselndes Werk zu einem der
herausragendsten deutschen Künstler, das längst überfällig war.
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