KRISTINA SPOHR:
WENDEZEIT
Mit dem Mauerfall vor nunmehr 30 Jahren veränderte sich nicht nur Deutschland
grundlegend, es folgten die Selbstauflösung der Sowjetunion und der Zerfall des Ostblocks
mit dem Ergebnis einer völlig veränderten Weltordnung. Dem Ende des Kalten Krieges
widmet sich nun Kristina Spohr mit einer umfassenden Darlegung.
Wendezeit. Die Neuordnung der Welt nach 1989 lautet der Titel und mit der
deutsch-finnischen Historikerin schreibt hier eine renommierte Expertin zum Thema. Die
Inhaberin der ersten Helmut-Schmidt-Ehrenprofessur am Henry A. Kissinger Center for Global
Affairs an der Johns Hopkins Universität in Washington und Dozentin für Internationale
Geschichte an der London School of Economics geht bei ihrem Werk auf die gesamten
sogenannten Scharnierjahre mit den Richtungsentscheidungen der Jahre 1989 bis
1992 ein.
Dazu gehört zunächst die Vorgeschichte und erst im 3. Kapitel wird die Entwicklung hin
zu Mauerfall und Wiedervereinigung dargelegt. Eine große Vielfalt von Aspekten
beleuchtet, wie die scheinbare Stabilität der Weltordnung mit West- und Ostblock
bröckelt. Wobei der gravierende Unterschied zwischen dem unerwartet friedlichen
Zusammenbruch des kommunistischen System der Warschauer Pakt-Staaten zur blutigen
Niederschlagung des chinesischen Aufbegehren vom Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen
Friedens offensichtlich wird.
Im Mittelpunkt stehen bei den entscheidenden Umbrüchen maßgeblich George Bush sen.,
Michail Gorbatschow, Helmut Kohl sowie Francois Mitterand, während die britische
Premierministerin Margret Thatcher als heftige Kritikerin der
Wiedervereinigungsbestrebungen sich selbst in die Rolle einer missmutigen Mitläuferin
stellte. Kristina Spohr untersuchte sämtliche Geschehnisse auf der Basis zahlloser,
vielfach unbekannter Quellen und sie nahm auch Nebenschauplätze ins Auge.
Im Vorfeld der Wende werden da die versuchten Neuerfindungen des Kommunismus in der UdSSR
und China Gorbatschow und Deng Xiaoping ebenso analysiert wie der Niedergang
des überkommenen Systems in Satellitenstaaten wie Polen und Ungarn. Dem gegenüber steht
die andersartige Entwicklung in der DDR mit der Erstarrung ihres Führungspersonals, der
Empörung über die betrügerische Kommunalwahl vom Mai 1989 und der rapiden wachsenden
Fluchtwelle über sich öffnenden Bruderstaaten.
Die Historikerin beleuchtet die einzelnen Stationen, die zu Mauerfall und
Wiedervereinigung führten. Wobei unübersehbar wird, welch alles entscheidende Bedeutung
hierbei die einzigartige Konstellation der wesentlichen Entscheidungsträger in diesem
ebenso sensiblen wie kritischen Moment der Weltgeschichte hatte. Und es war der deutsche
Bundeskanzler Kohl, der den Grundgedanken für das Gelingen so zitierte: Politik
braucht Gespür für das Machbare, auch für das dem anderen Zumutbare.
In wenigen Jahren entstand eine neue Weltordnung, die nur auf Grund des Vertrauens
zwischen den Akteuren und deren Verlässlichkeit möglich war. Was sich unter anderem auch
in folgenden gemeinschaftlich angegangenen Konfliktsituation wie beim ersten Golfkrieg und
auch noch beim UN-Eingreifen in Somalia zeigte. Kristina Spohr gibt dazu außer fundierten
und detaillierten Sachinformationen viele erhellende Einblicke in Gespräche und
Verhandlungen zwischen den handelnden vor und hinter den Kulissen. Immer wieder werden da
spannende Querverbindungen aber auch Abhängigkeiten offenbar.
Man weiß inzwischen, dass auch die so massiv veränderte Weltordnung nicht zum Ausbruch
allumfassenden Friedens und Wohlstands geführt hat. Auch deshalb fügte die Autorin einen
Ausblick unter dem Titel Pazifisches Jahrhundert an. Und ihre Ausführungen
enden mit einem Zitat aus der Abschiedsrede von US-Präsident Bush sen. Anfang 1993, die
gerade angesichts jüngster Entwicklungen eine warnende Weitsicht aufweist: Die neue
Welt könnte mit der Zeit genauso bedrohlich sein wie die alte. Und, lassen Sie mich offen
sein: Ein Verzicht auf die amerikanische Führung, auf das amerikanische Engagement, wäre
ein Fehler, für den künftige Generationen, ja unsere eigenen Kinder teuer bezahlen
müssten.
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