SEYMOUR M. HERSH: „REPORTER“


Seymour M. Hersh ist vermutlich der größte lebende Enthüllungsjournalist Amerikas. Mit etlichen seiner Reportagen schrieb er Geschichte, wurde vielfach preisgekrönt und erfreut sich seitens jeglicher US-Präsidenten massiver Antipathien. Was er als Kompliment empfindet.
Nun hat der 1937 in Chicago geborene Investigativjournalist unter dem schlichten Titel „Reporter“ seine Memoiren geschrieben. Wenn der Untertitel als Zusatz darauf verweist, dass Hersh „Der Aufdecker der amerikanischen Nation“ sei, ist das keineswegs übertrieben. Nüchtern aber auch ohne falsche Bescheidenheit beschreibt der Sohn einer jüdischen Familie, der früh seinen Vater verlor und anfangs Zeit dessen Waschsalon übernahm, zunächst den Werdegang vom kleinen Polizeireporter bis zum Autor gefürchteter Schlüsselartikel.
Noch ganz nach den herkömmlichen Methoden mit Telefon, Telefonbuch, einer Spürnase für die richtigen Quellen mit schließlich legendärer Zahl von Informanten arbeitet er. Wobei er zwei Grundsätze stets beherzigt: „Erstens überprüfe alles gründlich“ und zweitens, niemals einen Zuträger verraten. Mit viel Beharrlichkeit und dem Glück des Tüchtigen gelingt ihm so 1969 der Coup, der ihm nicht nur den Pulitzerpreis 1970 einbringt sondern sogar Politik und Geschichte verändert: das Massaker von My Lai.
Ohnehin harscher Gegner des Vietnamkrieges, stieß Hersh auf Andeutungen über einen Offizier, der in dem Dorf mindestens 109 Zivilisten bis hin zu Kleinkindern abschlachten ließ. Mit viel Chuzpe und detektivischer Kleinarbeit spürte er diesen Leutnant Calley auf. Nur mit Tricks gelingt ihm dann jedoch die Veröffentlichung dieser Geschichte, die selbst große kritische Zeitungen in staatstragender Selbstzensur lieber nicht publizieren wollten.
Doch die Memoiren des Unbestechlichen lesen sich auch im weiteren wie ein Politkrimi, in dem auch manche Ikonen der US-Politik mit viel Dreck am Stecken enttarnt werden. Auch Hersh war an den Watergate-Nachforschungen beteiligt wie er ohnehin die Nixon-Regierung als besonders üblen politischen Sündenpfuhl entlarvt. Da ließ Nixon tausende von Bürgern von der CIA beschatten, arbeitete mit Henry Kissinger direkt am Umsturz im Chile Allendes zusammen.
Hersh sagt unmissverständlich dazu: „Kissinger log wie gedruckt.“ Sein Buch über dessen Machenschaften wurde massiv angefeindet und ein Bestseller. Doch seine Enthüllungsartikel reichen bis in die jüngste Vergangenheit wie zum Beispiel zum Irak-Krieg mit getürktem Kriegsgrund oder den folgenreichen Gräuel von US-Soldaten im dortigen Foltergefängnis Abu Ghreib.
Bei all dem ließ sich Hersh weder bestechen noch verbiegen und es gab nur ganz wenige Reportagen, die aus schwerwiegenden gründen nie veröffentlicht wurden. Und er stellt trocken fest, dass es insbesondere im Weißen Haus und im Pentagon unter fast jedem Präsidenten Lügen, Fälschungen und verborgene Skandale gegeben habe. Fazit: ein ebenso spannendes wie haarsträubendes Buch für jeden politisch Interessierten von einem Journalisten, wie er dringender nie gebraucht wurde und doch leider vermutlich einer aussterbenden Gattung angehört.

# Seymour M. Hersh: Reporter. Der Aufdecker der amerikanischen Nation (aus dem Amerikanischen von Karoline Zawistowska); 432 Seiten; ECOWIN Verlag, Salzburg; € 28


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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