ADAM TOOZE: CRASHED
Im September 2008 brach die US-Bank Lehman Brothers zusammen und es drohte durch einen
weltweiten Domino-Effekt ein totaler Kollaps der Weltwirtschaft. Doch eine Katastrophe
ähnlich der von 1929 nach dem sogenannten Schwarzen Freitag konnte mit Mühe und vor
allem Riesenmengen von Geld vermieden werden.
Als Adam Tooze vor einigen jahren ein Buch über die globale Krise von 2008 und ihre
Auswirkungen schreiben wollte, sollte das ein Rückblick auf eine bewältigte Krise sein.
Das aber stellte sich für den britischen Wirtschaftshistoriker, Direktor des European
Institute an der Columbia University, New York, noch während des Recherchierens als
Irrtum heraus. Man darf wohl sagen: der einzige und nachhaltig korrigierte des
renommierten Wissenschaftlers.
Wie nun das umfassende Werk unter dem Titel Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die
Welt verändert haben ausführlich untermauert. Nach den Schilderungen des Ausbruchs
der Krise, als der aufgeblasene US-Immobilienmarkt kollabierte und weltweit eine Bank nach
der anderen mit sich riss, weil sie all auf tönernen Füßen grenzenlos investiert
hatten, steht zunächst das Ausmaß dieser ersten globalen Krise fest.
Zum entscheidenden Retter vor dem Übergreifen der Finanzkatastrophe auf die gesamte
Weltwirtschaft erklärt Tooze den damaligen US-Notenbank-Chef Ben Bernanke. Der habe
eingedenk der fatalen Austerity-Politik, mit der die Staatenlenker nach 1929 die Welt
wirtschaftlich und in der Folge auch politisch in den Abgrund stießen, das Implodieren
des Geldwesens mit dem wohl einzigen wirksamen Mittel bekämpft: mit dem Fluten der
Geldmärkte.
Während der Experte einerseits akribisch und dabei dennoch ausgesprochen lebendig
darstellt, wie dies vonstatten ging und wirkte, beschreibt er andererseits die massiven
Fehler der europäischen Krisenpolitik. Ausführlich erläutert er hier, warum er allen
voran die deutschen Krisenmanager (Angela Merkel, Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble und
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann) zu den größten Sündern zählt.
Ihnen wirft er sogar verantwortungslosen Widerstand gegen ein aggressives
Vorgehen gegen die Schieflage vor. Das Ausufern der Euro-Krise, die Bankenkrisen in
Irland, Spanien und Portugal und noch mehr das abstruse Multi-Milliarden-Gezerre um das
gnadenlos überschuldete Griechenland seien nicht nur nur schlecht und mit der Folge von
massiven sozialen und politischen Schäden behandelt worden.
Das große Versagen habe Grundlagen für gegenwärtige Verwerfungen freigesetzt vom Brexit
über das Aufkommen populistischer Reaktionäre in immer mehr Parlamenten bios hin zur
Wegbereitung für einen US-Präsidenten wie Donald Trump. Mit verblüffend zwingender
Logik führt Tooze Beweis dafür, wie das Feld für einen undenkbaren Nicht-Politiker wie
Trump durch die Krise von 2008 bereitet wurde.
Gleiches stellt er aber auch für Kräfte wie die AfD fest, die ja als
konservativ-wirtschaftsliberale Protestbewegungen gegen den Euro und das Euro-System
begannen. In seinem abschließenden Blick in die Zukunft findet Tooze wenig beruhigende
Worte, sei es zum globalen Miteinander, sei es zum Fortbestand des Projekts Europäische
Union.
Fazit: eine faszinierend klarsichtige Durchleuchtung der Krise von 2008 und ihrer
zerstörerischen Auswirkungen bis heute. Trotz der Fülle der Fakten ist dem
Wirtschaftshistoriker ein kompaktes und vollauf überzeugendes Werk zum Thema gelungen,
das auf den interessierten Laien fesselt und für Politiker eine Pflichtlektüre sein
sollte.
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