PETER H. WILSON: DER
DREIßIGJÄHRIGE KRIEG
Mittwoch, 23. Mai 1618: kurz nach 9 Uhr am Morgen werden drei hohe Würdenträger des
Kaisers aus einem Fenster der Prager Burg geworfen. Alle drei überleben zwar, gleichwohl
wird dieser sogenannte Prager Fenstersturz der Auftakt eines mörderischen
Ringens, das erst am 24. Oktober 1648 mit dem Westfälischen Frieden von Münster und
Osnabrück enden soll.
Pünktlich zur 400. Wiederkehr jenes Kriegsbeginns liegt nun endlich das monumentale
Geschichtswerk von Peter H. Wilson vor, das im Original bereits 2009 erschien. Der
Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie lautet der Titel und der Autor,
Inhaber des Chichele-Lehrstuhl für Militärgeschichte an der Oxford University, bietet
damit auf dem neuesten Stand der Forschung etwas, das trotz umfangreicher
Veröffentlichungen zum Thema bisher nahezu völlig fehlte: eine umfassende
Gesamtübersicht.
Im ausführlichen ersten Teil geht Wilson zurück bis deutlich ins 16. Jahrhundert, um
einerseits die komplexen Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation
dazulegen. Nicht zu vergessen: die zunächst so scharfen Gegensätze zwischen den
Konfessionen hatten durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 ein friedliches
Nebeneinander von Katholiken und Protestanten gefunden. Andererseits beschreibt der Autor
die macht- und wirtschaftspolitische europäische Gemengelage, die zu den späteren
Konflikten und immer wieder wechselnden Koalitionen beitragen sollte.
Den Hauptteil bildet natürlich die eigentliche Kriegszeit, die ihre Auslöser maßgeblich
in den Rekatholisierungsversuchen des Kaisers und dem Aufbegehren der protestantischen
Fürsten dagegen hatte. Doch Wilson verdeutlicht auch, dass der Dreißigjährige Krieg
sich zwar an diesen Gegensätzen entzündete, aber dennoch kein unvermeidbarer
Religionskrieg war. Verfassungskonflikt, Bürgerkrieg und schließlich auf europäischer
Ebene ein Hegemonialkrieg mit weitreichenden Folgen war das wechselhafte Ringen
schließlich.
Hatte der Kaiser anfangs die Oberhand gewonnen, griffen erst der dänische König
Christian IV. und nach dessen Scheitern Schwedens König Gustav II. Adolf ein. Wodurch der
Krieg immer europäischer wurde, wenngleich er weitgehend auf deutschem Gebiet tobte. Der
Militärhistoriker stellt zwischendurch wichtige Akteure vor wie den skrupellosen
Kriegsunternehmer Wallenstein, den bis zu seinem Tode auf dem Schlachtfeld bravourösen
Gustav Adolf wie auch den ebenso kaisertreuen wie rücksichtslosen Feldherrn Tilly.
Unter dessen Führung eskalierte das exzessive Schlachten ab etwa 1630 auf breiter Ebene
mit dem Höhepunkt der Magdeburger Hochzeit von 1631, als mindestens 20.000
Bürger bei der Eroberung der Stadt hingemetzelt wurden. Wilson geht sehr genau auf
etliche der zahlreichen Schlachten ein samt Plänen und Zahlenmaterial. Zugleich bietet er
eine Qualität, die andere Autoren zu diesem Thema durchweg vernachlässigt haben: die
genau Untersuchung der letzten 13 Jahre des Krieges.
Das heftige und äußerst blutige Ringen nach dem Scheitern des Friedens von Prag im Jahr
1635 wird hier ebenso eingehend chronologisch dargestellt wie die Zeit davor. Und dieser
Abschnitt war ja auch geprägt von Veränderungen der Koalitionen und Unterstützungen von
außen, wo der Autor auch zumindest mittelbar beeinflusste Vorgänge wie kriegerische
Ereignisse zwischen den Kolonialmächten weltweit einbezieht.
Geht er dann auch nur relativ knapp auf die schwierigen und langwierigen
Friedensverhandlungen ein, zeichnet er andererseits ein beeindruckendes Bild der
Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die politische und konfessionelle Landkarte
nicht nur Europas. Mindestens acht Millionen Menschen fielen den Schlachten, dem Hunger
und Seuchen zum Opfer und vor allem die deutschen Lande lagen auf Jahrzehnte danieder.
Peter H. Wilson schreibt das ebenso detailliert wie spannend und er macht diese erste
große Kriegskatastrophe der Neuzeit mit ihren komplexen Verwicklungen auch für den
interessierten Laien gut verständlich. Fazit: ein künftig unverzichtbares Standardwerk
zum Thema.
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