PABLO
NERUDA: DICH SUCHTE ICH
Pablo Neruda (1904-1973) war einer der größten Poeten des 20. Jahrhunderts und doch gab
es fast 40 Jahre nach dem mutmaßlich gewaltsamen Tod des
Literaturnobelpreisträgers von 1971 einen Sensationsfund bisher unbekannter Gedichte.
Als die nach ihm benannte chilenische Stiftung 2011 begann, sämtliche Papiere aus seinem
Nachlass zu erfassen und zu katalogisieren, fanden sich tatsächlich 21 bis dahin
unveröffentlichte Gedichte, die nie zuvor auch nur erwähnt worden waren. Nun sind sie
auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel Dich suchte ich erschienen
einschließlich einer Erläuterung von Dario Oses, Leiter von Bibliothek und Archiv der
Fundacion Pablo Neruda.
Eingangs liest man sechs Liebesgedichte, die ahnen lassen, zu welcher Wortgewalt dieser
Dichter der Liebe, wie er sich selbst nannte, fähig war. Die Gedichte stammen
aus einem Zeitraum von den frühen 50er bis zu seinen letzten Jahren. Auch seine anderen
Themen wie die Natur oder Politisches sind vertreten.
So groß die Freude über diese völlig überraschenden Funde auch sein mag, zeigt die
kritische Betrachtung jedoch deutlich literarische Qualitätsunterschiede. Nicht alle
Verse haben die gerühmte Strahlkraft und es muss sogar angenommen werden, dass das ein
oder andere Gedicht genau deshalb nie von dem durchaus selbstkritischen Dichter
veröffentlicht wurde.
Die Übertragung ins Deutsche durch Susanne Lange ist im Übrigen sicher verdienstvoll,
mit den kongenialen Übersetzungen des leider bereits verstorbenen Friedrich Rudolf Fries
allerdings kann sie sich nicht messen. So löblich außerdem die Erklärungsversuche der
einzelnen Gedichte im Anhang sind und auch die Faksimiles einiger der oft auf Zetteln,
Menükarten oder Konzertzetteln niedergeschriebenen Verse ihren eigenen Charme haben, hat
der langjährige deutsche Verlag der Werke Nerudas hier eine unverzeihliche
Unterlassungssünde begangen.
Stets war es selbst für nicht Sprachkundige eine wahre Wonne, die Originaltexte jeweils
den übersetzten Gedichtzeilen gegenüber zu sehen und ihre selbst im Lautmalerischen
magische Schönheit zu erleben. Genau das aber fehlt diesem Bändchen und es kann auch in
keiner Weise durch die großenteils nur schwer zu entziffernden Faksimiles ersetzt werden.
Fazit: wunderbare bisher unbekannte Fragmente aus dem Werk dieses großen Poeten, die für
jeden Liebhaber seiner einzigartigen Kunst ein Muss sind. Doch der Verlag hätte mehr
daraus machen können.
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