HEIMO SCHWILK: LUTHER
DER ZORN GOTTES
Vor nunmehr 500 Jahren schlug der noch recht unbedeutende Augustinermönch Martin Luther
(1483-1546) am 31. Oktober seine 95 Thesen an das Tor der Wittenberger Schlosskirche. Was
daraus folgte, veränderte die Welt und zeitigte Wirkungen bis in die Gegenwart.
Unzählige Bücher gibt es darüber einschließlich etlicher Biographien, dennoch wirkt
die Gestalt des ebenso verehrten wie verhassten Reformators eher entrückt und fast immer
nur aus seinem Schaffen heraus erklärt. Um so verdienstvoller ist Heimo Schwilks
Biographie unter dem Titel Luther Der Zorn Gottes. Herausragende Werke
über Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke zeigten ihn als exzellenten Biographen, der es
versteht, den Menschen hinter der Ausnahmegestalt näher zu bringen.
So nun auch bei dem wohl größten Deutschen überhaupt, den er psychologisch einfühlsam
und vertraut mit der von radikalen Brüchen bestimmten Epoche des ausgehenden Mittelalters
porträtiert. An den Anfang stellt Schwilk jenes Treiben des Ablasspredigers Tetzel mit
dem Freikauf von jeglicher Sünde, das Bruder Martin endgültig die Zornesadern schwellen
und mit den legendären Thesen gegen die verkommenen Sitten der römischen Kirche ein
Beben auslösen lässt.
Sogleich wird offenbar, was Luther bewegt und wofür er fortan lebenslang kämpfen wird.
Mit dieser Einstimmung beginnt der Lebenslauf, der bekanntlich erst nach jenem mythischen
Gewittererlebnis von 1505 und gegen den ausdrücklichen Willen des strengen Vaters zur
Abkehr von einer weltlichen Karriere und ins Augustinerkloster von Erfurt führt. Der
ebenso deftige wie wortgewandte junge Geistliche findet in Generalvikar Johann von
Staupitz einen wichtigen Mentor. Noch wichtiger aber soll später dessen Freundschaft mit
dem Landesherrn Kurfürst Friedrich dem Weisen werden.
Obwohl man entscheidende Schritte wie jene Reise Luthers nach Rom gut kennt, gewinnen sie
hier durch die unmittelbare Nähe zur Person einen andere Tiefenschärfe und immer wieder
wird deutlich, wie Luther unter den Lügen und Lastern der Päpste leidet und
gegen sie aufbegehrt. Zugleich wird noch klarer, wie wenig Luther ein Modernisierer sein
wollte: nicht umstürzen, reinigen wollte er seine Kirche.
Sehr plastisch schildert Schwilk, der einst Schüler der protestantischen Klosterschule
Maulbronn war, die großen historischen Auftritte Luthers, die die Welt in neue Bahnen
zwangen und quasi den Beginn der Neuzeit einläuteten. Wie er dann mit seiner
Bibelübersetzung ins Deutsche und mit legendären prägenden Schriften wie der Von
der Freiheit eines Christenmenschen den Glauben und christliche Moralvorstellungen
für breite Schichten der Bevölkerung unmittelbar erfahrbar machte, erläutert Schwilk
detailliert.
Doch dieser Luther war auch ein Rechthaber, der keinem Streit aus dem Weg ging und für
Kompromisse nicht zu haben war. Der Biograph hilft, sich in das Denken und Fühlen dieses
Berserkers des Glaubens hineinversetzen zu können. Wobei er auch Schattenseiten wie die
späten antisemitischen Ausfälle nicht unbeachtet lässt, diese aber sinnvollerweise in
den Kontext jener Zeit stellt.
Luther die Lichtgestalt, aber auch dessen Neigung zur Kleinlichkeit, der Unduldsame, der
im Alter zuweilen unerträglich wurde diese Biographie macht den Reformator und
sein bewegtes Leben höchst anschaulich und eben nicht nur intellektuell verständlich.
Das Alles ist zudem ähnlich der angelsächsischen Geschichtsschreibung bei
aller gebotenen Wissenschaftlichkeit sehr unterhaltsam geschrieben.
So wird Schwilks Resümé auch so manch staunenswerter Entdeckung gerecht: Dieser
Mann wollte kein Schisma. Er wollte als guter Katholik allein die Missstände in Rom
anprangern. Fazit: wer das leben und Wirken dieses ebenso faszinierenden wie
schwierigen Menschen rundum und sehr authentisch kennenlernen will, kommt an dieser
brillanten Biographie, die schon jetzt als Standardwerk zum Thema gelten darf, nicht
vorbei.
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