ANDRE HELLER: UHREN GIBT ES
NICHT MEHR
Der Sänger, Entertainer und Kulturmanager André Heller war schon immer ein Mann für
Außergewöhnliches. So passt auch seine jüngste Buchveröffentlichung ganz in das
Muster: Uhren gibt es nicht mehr. Der Untertitel verrät dabei zugleich, dass
auch sein familiärer Hintergrund seine Besonderheiten aufweist: Gespräche mit
meiner Mutter in ihren 102. Lebensjahr.
Elisabeth Heller wurde 1914 kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Wien in die
gehobene Gesellschaft geboren. Schon mit 19 Jahren heiratete die ebenso attraktive wie
gebildete Frau den viel älteren Süßstofffabrikanten Stephan Heller. Offenbar keine sehr
glückliche Wahl, wie die innigen Gespräche zwischen dem Künstler und seiner betagten
Mutter erkennen lassen.
Hinreißende Passagen gibt es da, denn die feine alte Dame jammert nicht übers Alter.
Allerdings beklagt sie die körperlichen Beeinträchtigungen, wo sie sich im Kopf doch
immer noch als eher jung empfindet. Was sie gleichwohl nicht von allerlei sehr eigenen,
teils geradezu philosophischen Altersweisheiten abhält. Natürlich kommt die Frage nach
der Angst vor dem Tod. Ihre nüchterne Antwort: Ich habe keine Angst mehr, das zahlt
sich nicht mehr aus.
Über vier Monate fanden zahlreiche innige Gespräche zwischen Mutter und Sohn statt und
heraus kam eine klare und auch warmherzige Lebensbilanz. André Heller hat von den vielen
Aufzeichnungen die am wenigsten intimen in diesem Büchlein versammelt. Und die sind mal
ganz ernst, dann wieder geistreich und witzig bis originell. Wobei die alte Dame zuweilen
über ihr Gedächtnis und dessen Auswahlleistung staunt: Unglaublich, was es alles
gibt, das es nicht mehr gibt in meinem Hirn.
Es kommt keine Bitternis, wenngleich sie schon bedauert, dass sie sich stets hat viel zu
sehr in den Hintergrund drängen lassen. Da hatte sie auch mit einigen
Minderwertigkeitskomplexen ihr Tun, allen voran wegen ihrer für damalige Verhältnisse
abträglichen Körpergröße von 1,82 Meter. Andererseits präsentieren diese wunderbaren
Dialoge ohne Schmus aber voller Zuneigung und gegenseitiger Wertschätzung
eine Frau, die mit Stil und Würde gealtert ist. Fazit: ein literarisches Juwel der
besonderen Art.
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