JOHN le CARRÉ: DER
TAUBENTUNNEL
Geschichten aus meinem Leben nennt John le Carré das, was er jetzt
quasi zum 85. Geburtstag in diesem Monat da unter dem Titel Der
Taubentunnel veröffentlicht hat. Doch man erwarte keine Autobiografie, denn was der
Bestsellerautor hier vorlegt, sind im besten Sinne Memoiren ohne nennenswerte Chronologie.
Mit dem berühmten süffisanten und zuweilen sarkastischen Charme lässt er gleich zu
Beginn keinen Zweifel an dem, was hier tut: er erzählt wahre Geschichten nach
meiner Erinnerung. Nichts habe er dabei verfälscht, allenfalls verschleiert, wo das
nötig war. Manche der Geschichten sind bereits in anderer Weise publiziert und nun
überarbeitet worden.
Nachdem er die eher gruselige Abhandlung über den titelgebenden Taubentunnel erzählt
hat, nimmt er den Leser mit auf eine wundersame Weltreise durch sein Leben. Die nicht von
ungefähr wiederholt auch Deutschland berührt, denn er ist deutschfreundlich und ein
Verehrer von Thomas Mann. Und er verbrachte einige Jahre im Dienste Ihrer Majestät in
Bonn, offiziell als Diplomat, in Wirklichkeit und erst viel später eingestanden
im Geheimdienst.
Die kleine Hauptstadt der westdeutschen Bundesrepublik hat er nicht nur später zum
Schauplatz eines seiner Spionage-Bestseller gemacht. Bei aller Sympathie fürs Deutsche
spießt er recht gallig jene alten Nazi-Kreise auf, die sich nicht nur beim BND bis weit
in die 70er Jahre an wichtigen Schaltstellen tummelten. Doch auch BND-Chef Hanning
(1998-2005) bekommt wegen der üblen Machenschaften um den Guantanamo-Gefangenen Kurnaz
Galle zu spüren.
In Ausbreitung seiner ganzen Qualitäten als Plot-Spezialist samt viel Sinn für Komik und
Hintergründiges schildert Davod Cornwell, so sein bürgerlicher Name, so manche skurrile
bis spannende Begebenheit. Das beginnt schon mit den Einblicken in die Filmaufnahmen zu
Der Spion, der aus der Kälte kam, mit dem John le Carré Anfang der 60er
Jahre seinen internationalen Durchbruch feierte.
Erstaunliches liest man über Recherchearbeiten, die zum Beispiel zu Yassir Arafat
führten oder zu obskuren Revolutionsführern. Geradezu bizarr erscheint sein Dinner bei
Margaret Thatcher nach mehreren Absagen seinerseits. Doch erst gegen Ende dieser
hinreißend geschriebenen Geschichten wird es richtig persönlich, wenn er erläutert,
warum er zu einem solch begnadeten Geschichtenerzähler geworden ist, der das Lügen als
Schriftsteller stets glanzvoll zelebriert hat.
Sich zu tarnen, sich selbst zu erfinden, das habe er in der Kindheit lernen müssen. Und
Grundlagen hat er offenbar von Vater Ronnie geerbt, denn der war zeitlebens
ein Hochstapler und Betrüger, der selbst den Sohn ausnutzte. Zu Charme und Charisma kam
bei Ronnie allerdings so viel an Gaunertum und krimineller Energie hinzu, dass er zuweilen
ein großes Rad drehte, aber auch wieder alles verlor und im Knast landete.
Noch durchschlagender auf die Psyche des Sohnes aber war offensichtlich das Verschwinden
der Mutter über Nacht, als der Junge erst fünf Jahre alt war. Ein Trauma, denn er habe
während seiner gesamten Kindheit keinerlei Zuwendung bekommen. Das stehe auch hinter dem
Geheimnis seiner Persönlichkeit, denn Menschen mit einer unglücklichen Kindheit lernten
eben, sich selbst zu erfinden.
Aber auch diese nachdenklich stimmenden Passagen schmälern nicht den hohen
Unterhaltungswert dieser geradezu romanhaft bunten Memoiren. Und John le Carré führt mit
diesen oft so leichtfüßig daherkommenden Geschichten einmal mehr den Beweis, dass er ein
großer Romancier und weit mehr als nur ein genialer Autor von
Spionagethrillern mit viel Realitätsbezug ist.
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