SALLY
NICHOLS: WÜNSCHE SIND FÜR VERSAGER
Ein ebenso emotionsgeladenes wie düsteres Jugendbuch legt die preisgekrönte englische
Erfolgsautorin Sally Nicholls mit Wünsche sind für Versager vor.
Ich-Erzählerin ist darin die elfjährige Olivia Glass, von ihrer Mutter von Geburt an
gehasst und seit dem fünften Lebensjahr durch mittlerweile 15 Pflegefamilien und Heime
geschleust.
Wie schwer sie seelisch gestört ist nach all den Demütigungen, der Verweigerung von
Zuneigung, der mütterlichen Vernachlässigung, zeigt die Reihe der gescheiterten
Aufnahmeversuche. Sie vertraut niemandem, ist hochgradig aggressiv, destruktiv und schier
unberechenbar mit ihren Wutanfällen, die immer wieder auch bewusst zerstörerisch sind.
Auf Ansätze von Freundlichkeit reagiert sie, indem sie Ablehnung provoziert um
nicht erneut enttäuscht zu werden.
All die erlebten Gewalterfahrungen und Lieblosigkeiten haben Olivia derartig zerbrochen,
dass sie sich selbst hasst und sich zugleich nicht verstehen kann. Die beiden einzigen
Menschen, die ihr etwas bedeutet haben, hat sie verloren: ihre ebenso von der Mutter
verstoßene und inzwischen adoptierte Schwester und die Pflegemutter Liz. Diese hat sie
nur kurz bei sich behalten, um sie auf eine neue Familie vorzubereiten.
Allmählich erfahrt man in Rückblenden auch, welch eine quälende Odyssee Olivia bereits
hinter sich hat, als sie nun in das Farmhaus der Iseys kommt. Trotz ihres ruhelosen,
getriebenen Wesens und immer neuer Eruptionen gewöhnt sie sich tatsächlich an
Pflegevater Jim und seine Kinder Harriet und Daniel. Gegen Pflegemutter Grace und deren
Baby aber toben Erinnerungen und heftige Empfindungen bis hin zu Gewaltfantasien an.
Und es kommt aus einem fatalen Grund zu einer dramatischen Eskalation, die sich an einem
Gemälde entzündet. Es zeigt Amelia Dyer, die zeitweise auch in diesem Haus einst als
sogenannte Babyfarmerin gelebt hat. Es hat sie wirklich gegeben und sie wurde 1896
hingerichtet, weil sie hunderte von Babys umgebracht haben soll. Die schwer gestörte
Olivia aber fühlt sich von deren Geist derartig verfolgt, dass sie schließlich
ausrastet.
Das ist alles schwere Kost, denn dieser Blick in eine zerbrochene Kinderseele mit dieser
aufgewühlten altklugen Erzählstimme sorgt für tiefe Beklemmung. Hier wird brillant
geschildert, welche Auswirkungen solche unmenschlichen Verletzungen auf eine Kinderseele
haben bis hin zur Hilflosigkeit gegenüber einer völlig deformierten Persönlichkeit.
Fazit: ein schwieriges Thema, packend und sehr realistisch verfasst, aber für Erwachsene
wie für die Zielgruppe der Teenager eine ebenso wertvolle wie schwer zu verdauende
Lektüre.
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# Sally Nicholls: Wünsche sind für Versager (aus dem
Englischen von Beate Schäfer); 219 seiten, Klappenbroschur; Carl Hanser Verlag, München;
15,90
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)
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