NIALL
FERGUSON: KISSINGER DER IDEALIST 1923-1968
Niall Ferguson, britischer Historiker an der Harvard University, legt jetzt den ersten
Band seiner umfassenden zweiteiligen Biographie zu Henry Kissinger vor. Dabei überrascht
schon der Titel Kissinger Der Idealist 1923-1968, denn nicht nur bei
den zahlreichen Kritikern des früheren US-Außenpolitikers zählt Idealismus gerade nicht
zu den Eigenschaften, die man ihm bisher unterstellte.
Im Falle dieser Biographie ist es jedoch ohnehin unerlässlich, einige bedeutsame
Umstände vorauszuschicken, um das gewaltige Konvolut einzuordnen. Zunächst muss betont
werden, dass diese Biographie von Kissinger nicht nur autorisiert wurde, vielmehr hat er
Ferguson selbst damit beauftragt und ihm den uneingeschränkten Zugriff zu sämtlichem
auch privatem Quellenmaterial eröffnet. Der Biograph hat allerdings außerdem auch
weltweit in zahlreichen Archiven recherchiert.
Die Wahl dieses Historikers aber dürfte Kissinger nicht von ungefähr getroffen haben,
denn der umstrittene Historiker hat sich mit vielen Schriften und Aussagen als
Rechtsausleger gekennzeichnet. So unterstützte er unter anderem die Außenpolitik von
Präsident George W. Bush einschließlich des Irak-Krieges von 2003 und er versagte ihm
erst die Gefolgschaft, als der seiner innenpolitischen Empfehlung zu massiven Kürzungen
der Sozialausgaben nicht entsprechend nachkam.
Zu den unmittelbar wissenschaftlichen Kontroversen Fergusons gehört nicht zuletzt seine
Werk über den Ersten Weltkrieg, in dem er die Niederlage des Deutschen Reichs allen
Ernstes maßgeblich mit der von den reaktionären Kräften ab 1918 aufgebrachten
sogenannten Dolchstoßlegende begründete.
Bei Henry Kissinmger versucht Ferguson nun nicht weniger als eine Art Hagiographie und
schwingt sich zum Verteidiger des seiner Meinung nach insbesondere von linken Kräften zu
Unrecht als zynischer Machtpolitiker verunglimpften Politikers auf. Generell als
Pragmatiker und Realist bekannt, wegen seiner politischen Arbeit als Präsidentenberater
und zeitweise US-Außenminister (1973-1977) aber auch als knallharter und durchtriebener
Machtpolitiker hervorgetreten, gilt er manchen Kreisen sogar als Kriegsverbrecher.
Da wird dann unter anderem auf die ihm maßgeblich veranlassten Bombardements Kambodschas
oder sein Strippenziehen beim Putsch in Chile bis hin zur Ermordung von Präsident Allende
im September 1973 und die Installierung der brutalen Pinochet-Diktatur verwiesen. Auf die
Aufbereitung und Ausdeutung derlei Aspekte darf man dann jedoch erst in Band II gespannt
sein.
In diesem Band aber geht es um den Werdegang des 1923 im bayerischen Fürth geborenen
Heinz Kissinger als Sohn einer gut situierten jüdischen Familie vom Emigranten in die USA
bis zum vielgefragten politischen Kopf, der am Ende dieser Berichtszeit mit gerade 45
Jahren zum Sicherheitsberater des mächtigsten Mannes der Welt berufen wurde. Die als
Bücher bezeichneten großen Kapitel zur Herkunft, der Zeit als US-Soldat im Kampf an der
Westfront und dann als Nazi-Aufdecker in der alten Heimat bieten viel detaillierten und
interessanten Stoff.
Wenn der Historiker jedoch Kissingers spätere Entwicklung auch unter dem Eindruck der
niedergehenden Weimarer Republik und der Emigration wegen der Verfolgung als Juden
einordnen will, geht das fehl. Kissinger war ganze neun Jahre, als Hitler 1933 die
Demokratie hinwegfegte, und zum Judentum hat Kissinger selbst bekannt, dem sehr säkular
gegenüber zu stehen. Krasser noch wird es allerdings, wenn er ihn zum großen Idealisten
veredeln will, der sich eher an Kant als an Macchiavelli orientierte.
Schon in seiner hochgelobten Doktorarbeit Peace, Legitimacy, and the Exquilibration.
A Study of the Statesmanship of Castlereagh and Metternich ließ er insbesondere den
langjährigen österreichischen Außenminister Klemens von Metternich als Meister der
Realpolitik hochleben, die ausschließlich mit kühler Abwägung und reinem
Nützlichkeitsdenken ohne moralische Attitüden das Bestmögliche für den jeweiligen
Staat erreicht. Ursprünglich sollte diese Arbeit auch noch das Wirken von Otto von
Bismarck umfassen, der als rücksichtsloser Realpolitiker in dieselben Fußstapfen trat.
Doch auch der Aufstieg Kissingers zum gefragten Mitspieler in Washington lässt einen Hang
zum Idealismus nicht entdecken, der einer moralischen Grundlage für politisches Handeln
das Wort spräche. Ob seine allerdings bald schon überholte Abhandlung
über die Möglichkeit begrenzter Atomkriege, ob seine ersten Exkurse in den Vietnam-Krieg
und das Hintertreiben von Friedensgesprächen, nirgends ist zu erkennen, dass selbst noch
zu diesen Zeiten vor dem offiziellen Einstieg in politische Ämter sein Handeln von
Idealismus unterlegt gewesen wäre.
Und selbst der freudige Einstieg in den erstrebten Job an der Seite von Präsident Richard
M. Nixon hatte etwas Zynisches, hatte er dem doch gerade noch im Wahlkampf auf
demokratischer Seite die Befähigung für das Amt abgesprochen. Doch es gelingt Ferguson
nicht nur nicht, Kissinger als Idealisten gewissermaßen selig zu sprechen, der erst im
Ringen als Sicherheitsberater und Außenminister zum Realpolitiker werden musste, er tut
der Sache auch mit seiner immer wieder die wissenschaftliche Objektivität verlassenden
Darlegungsweise keinen Gefallen.
Da lässt er sich zuweilen sogar dazu hinreißen, John F. Kennedy wegen schmutziger Tricks
im politischen Handeln zu schmähen oder Präsident Lyndon B. Johnson zu unterstellen,
folgenreiche Entscheidungen im Vietnam-Krieg nur wegen seines angeblichen Saufens so
getroffen zu haben. Kritisch gelesen, hat dieser Teil I der von Kissinger voll
unterstützten Biographie durchaus allerhand Interessantes an Fakten und Details zu
bieten.
Überzeugen kann er gleichwohl kaum und manchmal sind es gerade auch die Lobhudeleien, die
zur Wachsamkeit aufhorchen lassen. Wie in diesem Fall neben einigen rechtslastigen
US-Publikationen zum Beispiel auch die große Rezension zum Erscheinen des US-Originals in
der Schweizer Weltwoche. Autor: Roger Köppel, ein bekannter Reaktionär, der
sich soeben per Zeitungsinterview sogar als Göring-Bewunderer geoutet hat.
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