VICTOR SEBESTYEN: 1946
In den letzten Kriegstagen gab es im Dritten Reich die zynische Aufforderung: Leute,
genießt den Krieg der Frieden wird fürchterlich werden. Das war 1945
verständlich, doch wer da erwartet hatte, 1946 als Jahr 1 nach dem Krieg werde Frieden,
Wiederaufbau und Hoffnungen auf bessere Zeiten bringen, sah sich bitter enttäuscht, auch
wenn es alles andere als ein Jahr des Stillstands war.
In einer globalen Rundumschau macht der in Ungarn geborene Historiker und Journalist
Victor Sebestyen deutlich, welche umfassenden Krisen und Umwälzungen auf fast allen
Kontinenten sich auftaten. 1946. Das Jahr, in dem die Welt neu entstand
lautet der Titel und der Autor geht das Thema mit kurzen prägnanten Kapiteln an.
Besonders an interessierte Laien gerichtet, macht er seine bestens recherchierten
Abhandlungen durch das unmittelbare Anknüpfen an die wichtigsten handelnden Personen zu
einer spannenden Lektüre.
Natürlich geht er auf das krisengeschüttelte Europa ein, wo die Weltkriegs-Siegermacht
Großbritannien quasi pleite ist, ihr Weltreich erodiert und daheim ähnlicher Hunger
herrscht wie im besiegten Deutschland. Dort wiederum herrscht außerdem die weltweit
größte Flüchtlingskrise mit bis zu 14 Millionen entwurzelten Menschen am heftigsten.
Während die Alliierten mit der Entnazifizierung beginnen, schlägt in Griechenland der
Weltkrieg in einen erbitterten Bürgerkrieg zwischen Bürgerlichen und Kommunisten um.
Ansonsten aber etabliert Sowjet-Diktator Stalin sein als eigentlicher Sieger dastehendes
Reich mit all den Vasallenstaaten und da sich West- und Ostblock schon jetzt um ihre
Einflusssphären zanken, bricht in diesem Jahr der Kalte Krieg aus. Auch wenn er noch
nicht so genannt wird, spricht der an einigen fatalen Grundlagen dafür nicht ganz
unschuldige Churchill erstmals vom Eisernen Vorhang.
Doch Sebestyen schaut auch auf etliche andere Schauplätze von weitreichender Bedeutung.
In China tobt der Bürgerkrieg, aus dem Mao mit seinen Kommunisten als Sieger hervorgehen
wird, um dann weltpolitisch auf Jahrzehnte mitzumischen. Zugleich brodelt es auf dem
indischen Subkontinent, der den britischen Kolonialherren zunehmend entgleitet und in
blutigen Konflikten zwischen Hindus und Moslems explodiert.
Japan dagegen wird von den amerikanischen Besatzern in die Demokratie gezwungen, unter
erstaunlichen aber erfolgreichen Bedingungen. Wie ohnehin die USA unversehrt und
wirtschaftlich bärenstark als der eigentliche andere Sieger des Weltkriegs zur
Weltmacht aufsteigt. Schon in diesem ersten Nachkriegsjahr aber gibt es auch zwischen den
bald unübersehbaren Blöcken die ersten Stellvertreterkriege. Und immer noch finden die
Juden keinen Frieden, wobei andererseits in Palästina die Grundlage zu einem neuen, bis
heute schwärenden Konflikt gelegt werden.
Und in all die Krisen und Nöte dieses schlimmen Jahres platzte zuguterletzt zumindest in
Europa auch noch ein monatelanger Jahrhundertwinter. Auch hier schildert der Autor ebenso
fundiert wie fesselnd von teils wenig bekannten Ereignissen oder überrascht bei Bekanntem
mit unbekannten Details. Andererseits überzeugt Victor Sebestyen immer wieder mit
Analysen von Ereignissen und Zusammenhängen, die die Welt auf Jahrzehnte und teils bis in
die Gegenwart prägen sollten.
Fazit: ein hervorragendes Übersichtsbuch, das für Jeden, der sich mit dem Zweiten
Weltkrieg, der Nachkriegsära und moderner Zeitgeschichte befasst, schlichtweg
unverzichtbar ist.
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