PETER SIEBENMORGEN: FRANZ
JOSEF STRAUß
Auch seine zahlreichen Gegner konnten und können nicht bestreiten, dass Franz Josef
Strauß (1915-1988) eine Ausnahmeerscheinung der deutschen Nachkriegspolitik war. Nur
wenige waren derartig berufen für höchste politische Ämter und doch waren es seine
eigenen Schwächen und nicht ein widriges Schicksal, die ihm den Weg zum ersehnten
mächtigsten Amt der Bundesrepublik Deutschland verbauten.
Den spannenden Lebensweg des Münchner Metzgersohnes, der in diesem September 100 Jahre
alt geworden wäre, hat der Politikwissenschaftler Peter Siebenmorgen in einer
großvolumigen Biographie unter dem Titel Franz Josef Strauß. Ein Leben im
Übermaß nachgezeichnet. In der Wortgewalt dem Vollblutpolitiker durchaus
ebenbürtig, brilliert dieses Werk nicht zuletzt dank der Tatsache, dass der Biograf
uneingeschränkten Zugang zum Strauß-Nachlass und weitere exklusiven Quellen bis hin zu
den Tagebüchern von Strauß-Gattin Marianne hatte.
Die Hochbegabung zeigte sich bereits beim Schüler, der seinerzeit das beste Abitur in
Bayern schaffte. Entgegen anderen Verdächtigungen stand der junge Strauß trotz
Offiziersrang in der Wehrmacht den Nazis nicht nur nicht nahe, die gesamte Familie
galt vielmehr als katholisch-monarchistisch ausgerichtet und so unbelastet, dass die
US-Besatzer Franz Josef Strauß 1945 zum stellvertretenden Landrat im bayerischen Schongau
machten. Diesem ersten Schritt in die Politik folgte die Mitbegründung der CSU und 1949
das Direktmandat für den ersten Deutschen Bundestag.
Redegewalt und schnelle politische Auffassungsgabe brachten ihn bereits 1953 auf den
ersten Ministerposten unter Konrad Adenauer und eine ganz steile Karriere schien
unaufhaltsam. Bis er sich als mächtiger Verteidigungsminister verrannte und 1962 in arger
Selbstüberschätzung die SPIEGEL-Affäre lostrat. Dieser Anschlag auf die
Pressefreiheit führte zum Absturz und haftete ihm mehr als etliche weitere mit ihm
verbundene Skandale ein Leben lang an.
Nicht zuletzt als erheblicher Makel im Demokratieverständnis, was später durch den
ebenfalls angeführten Umgang mit dem chilenischen Diktator Pinochet oder dem
südafrikanischen Apartheidsregime noch deutlich verstärkt wurde. In Bonn jedoch folgte
nach nur kurzer Unterbrechung 1966 der Wiederaufstieg in ein Regierungsamt ausgerechnet in
der Großen Koalition mit der SPD, wo Strauß als Finanzminister mit Erfolgen glänzte. Um
so eindrücklicher liest sich der persönliche Niedergang des kraftstrotzenden Bajuwaren
gegen Ende der Kiesinger-Regierung.
Körperlicher Verschleiß, der interne Niedergang der Union, die Distanz zum spröden
Kanzler und manches mehr verstimmten Strauß zutiefst, während die Tagebücher der
Ehefrau ebenfalls düstere Seiten von Entfremdung, Alkoholexzessen und Seitensprüngen
schildern, so dass die 1957 mit der ebenso gebildeten wie begüterten Marianne
geschlossene Ehe am seidenen Faden hing. Doch schon 1969 folgte eine Art wuchtige
Wiederauferstehung im Wahlkampfjahr und der Strauß-freundliche Münchner
Merkur fasste dessen Wirken treffend zusammen: FJS die permanente
Provokation.
Doch Biograf Siebenmorgen seziert nicht nur die folgende bewegte Zeit als grantiger
Oppositionspolitiker und schließlich als König von Bayern im Amt des
dortigen Ministerpräsidenten. Der Umgang mit Geld, die undurchsichtige
Vermögensanhäufung, verschiedene Skandale und Strippenziehreien manches war schon
bekannt, vieles aber wird erstmals mit teils brisanten Details belegt. Bis der ebenso
sensible wie grobschlächtige und ebenso sture wie flexible Lebemann und Macho
seine bitterste Niederlage einfuhr.
Hatte der scharfsinnige und zugleich ungestüm mit dem Holzhammer austeilende Machtmensch
sich in den sozialliberalen 70er Jahren ohnehin ungeniert gegen all die politischen
Pygmäen ausgelassen, wollte er einen zweiten Anlauf des von ihm verachteten Helmut
Kohl fürs Kanzleramt unbedingt verhindern. Er selbst war der Einzige, dem er diese Rolle
wirklich zutraute und brachial setzte er deshalb für 1980 seine Kandidatur durch. Wie
kaum anders zu erwarten, scheiterte er eine Schmach, von der er sich nie mehr
wirklich erholte.
Darüber konnten auch seine Jahre als geradezu barocker Herrscher Bayerns kaum
hinwegtäuschen. Ebenso wenig wie das Gebaren, als sei er auf Augenhöhe mit den Großen
der Welt bis hin zu seiner obskuren Audienz beim chinesischen Diktator Mao oder dem
eigenhändigen Flug zu Sowjetführer Gorbatschow. In diese Anwandlungen, sich über
Gebühr immer noch in die Weltpolitik einzumischen, fiel dann auch der Empfang des
Staatsratsvorsitzenden Erich Honnecker als hoher Staatsgast und die ziemlich
eigenmächtige Vermittlung eines Milliarden-Kredites für die wirtschaftlich längst
marode DDR.
Peter Siebenmorgen gelingt trotz der Fülle schillernder Aspekte gleichwohl eine objektive
Darstellung des verhinderten Jahrhundert-Politikers und er führt auch dessen Verdienste
auf. Nach der auch vom politischen Gegner anerkannten Arbeit als Finanzminister der
Großen Koalition ist vor allem die hohe Verehrung in seinem Stammland Bvayern
verständlich, das sich unter seiner Ägide auch dank seiner oft nicht sonderlich
lupenrein gezogenen Strippen vom armen Agrarland zum modernen und sehr
erfolgreichen Wirtschaftsstandort entwickelte.
Diese Biographie zeigt einen der schillerndsten deutschen Politiker des 20. Jahrhunderts
in all seinen teils bewundernswürdigen, teils zu recht kritisierten und angefeindeten
Facetten. Es offenbart aber auch angesichts seiner potenziellen Fähigkeiten und der durch
eigene Schuld vertanen Chancen seine Tragik, dass ihm im Gegensatz zum Beispiel zum
Nobelpreis-Kanzler Willy Brandt oder zu Helmut Kohl als Kanzler der Einheit im großen
Buch der Weltgeschichte wohl nicht einmal eine Fußnote zuteil werden wird.
Fazit: diese Biographie ist ein Meisterwerk des Genres, das außer einer übergroßen
Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte gerecht zu werden auch noch einmal
einen faszinierenden Blick in die von FJS mitgeprägte Zeit eröffnet.
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