SUSAN JANE GILMAN: DIE
KÖNIGIN DER ORCHARD STREET
Als Lillian Maria Dinello im Weißen Haus mit Ehemann Bert Dunkle von Präsident
Eisenhower empfangen wird, ist das der Höhepunkt ihres wahrhaft bewegten Lebens. Ihren
außergewöhnlichen Aufstieg verdankt sie sowohl ihrem gewieften Geschäftssinn und
unermüdlichen Fleiß wie auch einem großen Unglück, das sich zum größten Glücksfall
wendete.
Die lebenslange Achterbahnfahrt dieser Lillian, die um 1907 als Malka Treynovsky im
jüdischen Schtetl von Bialystok geboren wurde, erzählt die US-Autorin Susan Jane Gilman
in ihrem ersten Roman unter dem Titel Die Königin der Orchard Street. Schon
die Ankunft des Mädchen im Jahr 1913 in der New Yorker Lower East Side, dem
Einwandererviertel der Juden und Italiener, sollte so eigentlich gar nicht sein. Die
Familie hatte Kapstadt als Ziel, doch der leichtlebige Vater ließ sich von allerlei
Erzählungen zum Tickettausch verleiten.
Das Auskommen der vielköpfigen Treynovskys ist extrem schwierig, alle Kinder müssen
mitarbeiten und dann verschwindet der Vater, um sich erst viel später noch einmal auf
perfide Weise zurückzumelden. Bald darauf dann der schlimme Schicksalsschlag für Malka:
der Eisverkäufer Dinello überfährt sie mit seinem Pferdekarren. Mit der Folge
schwerster Verletzungen, die die Kleine nur dank ihrer Zähigkeit überlebt. Trotzdem
scheint sie am Ende, denn mit ihrem verkrüppelten Bein kann ihre Mutter sie als unnützen
Mitesser nicht mehr brauchen.
Und dennoch wird dieses rabenschwarze Ereignis zum Wendepunkt für Malka, denn als
Papa Dinello von der Haltung der Mutter erfährt, nimmt die große
italienischstämmige Eismacherfamilie sie auf. Anpassungsfähig und gerissen wie sie ist,
arbeitet sich Malka gewissermaßen hoch im Familienkreis, lässt sich zu Ehren der
Dinellos katholisch taufen, vor allem aber erweist sie sich als ausgesprochen kreativ mit
einer echten Nase, wenn es um neue Eissorten geht. Je älter sie wird, desto
erfolgreicher schlägt ihr rücksichtsloser Unternehmergeist durch.
Dazu fehlt dann für die unattraktive Geschäftsfrau nur noch der passende Partner. Den
sie ausgerechnet in einem blendend aussehenden Einwanderer aus Wien findet. Doch dieser
Bert Dunkle hat keinerlei Dünkel, denn er wurde von seinem Vater verstoßen und ist durch
seine unglückliche Jugend Stotterer und Analphabet. Wie diese beiden vom Leben bisher so
gebeutelten Menschen dann ein wahres Eis-Imperium aufbauen wobei der Tüftler unter
anderem Eismaschinen für Soft-Eis erfindet das liest sich hinreißend und
spannend. Was ganz wesentlich auch daran liegt, dass Malka/Lillian alles als ebenso
selbstbewusste wie sarkastische Ich-Erzählerin schildert. Wobei man spürt, dass sie
nicht immer eine ganz zuverlässige Berichterstatterin ist.
Es gibt kein wirkliches Happyend, was nicht zuletzt an der zuweilen zu selbstherrlichen
Eiskönigin liegt. Dass die teils herben Lebensabschnitte gleichwohl nie die Grundstimmung
herunterziehen, verdankt der souverän geschriebene Roman vor allem auch seiner
geschickten Dramaturgie mit zahlreichen Wechseln der Zeitebenen bis hin zu grantigen
Feststellungen der alten Dame in ihren 80er Jahren.
Anzumerken ist schließlich, dass Susan Jane Gilman als versierte Sachbuch-Autorin viele
Fakten über das echte Eiscreme-Business hat einfließen lassen. Fazit: eine großartige
Lektüre für anspruchsvolle Leser mit einer hinreißenden Heldin vor realem Hintergrund.
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