HILMAR
KLUTE: WAR EINMAL EIN BUMERANG
Seinen 50. Geburtstag feierte Joachim Ringelnatz ganz groß mit 130 Gästen, unter ihnen
Freunde wie Kurt Tucholsky, Asta Nielsen und der Verleger Rowohlt. Doch an diesem 7.
August 1933 war der schon legendäre Künstler bereits erledigt, denn die Nazis hatten die
Macht übernommen und der Kauz mit seinem anarchischen Bühnenprogramm war ihnen mit all
seinen Talenten zuwider.
Ein wahrhaft bewegtes Leben neigte sich rapide dem Ende entgegen, wie Hilmar Klute jetzt
sehr eingehend in seiner Biographie War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim
Ringelnatz schildert. Für die Vita dieses als Hans Bötticher (1883-1934) in eine
gut situierte Künstlerfamilie hineingeborenen Multitalents konnte der Autor neben
umfangreichem allgemeinem Quellenmaterial auch auf das Privatarchiv von Norbert Gescher in
Berlin zurückgreifen. Er ist der Sohn von Leonharda Pieper, der Witwe von Ringelnatz, von
diesem in skurriler Zärtlichkeit Muschelkalk genannt.
Kleinwüchsig war der Junge, der mit seiner großen Vogelnase, dem wilden Haar und den
schelmisch-melancholischen Augen schon wegen seines Äußeren früh unter Hänseleien und
später als Matrose unter massiven Erniedrigungen zu leiden hatte. Es liest sich spannend,
wie eine unsanfte Achterbahn den sächselnden Unruhegeist schließlich mit frühen
schrägen Gedichten in München auf die Bretter des Simplicissimus führte. Er
begeistert als vermeintlich betrunkener Seemann war allerdings auch im wirklichen
Leben stets ein starker Alkoholkonsument und mit zuweilen anarchischen Ausrastern
das Publikum.
Immer mehr wird er zum literarischen Erfinder mit mal kindisch vertrackten, mal dagegen
nicht jugendfreien Texten und schon früh wird die groteske Lyrik sein Markenzeichen. Den
eigentlichen Durchbruch aber schaffte er schließlich in Berlin und seit 1919 benutzt der
Freund seltsamer Namen von einem Tag auf den anderen nur noch das Pseudonym Joachim
Ringelnatz. Immer auf und ab, wirtschaftlich meist klamm, machte er sich dennoch einen
immer größeren Namen, wurde ein Star der Kleinkunstbühne, wo er sich austobte.
Gleichwohl war er weit mehr als nur ein kreativer Clown, denn diese sensible
Künstlerpersönlichkeit mit dem unsteten Leben schuf auch bedeutsame Literatur wie
...liner Roma.., einen der ersten deutschen Großstadtromane. Daneben zeigte
er als Zeichner und Maler solche Qualitäten, dass er sogar vom renommierten
Avantgard-Galeristen Alfred Flechtheim ausgestellt wurde und Werke von ihm auch Käufer
fanden.
Hilmar Klute reichert die ohnehin sehr detaillierten Ausführungen immer wieder mit
Briefausschnitten, vor allem aber auch mit teils bisher unveröffentlichten Gedichten aus
dem Nachlass an. Ringelnatz' kompliziertes Privatleben, sein Leiden am Niedergang durch
die Nazis auch seine Bücher wurden verbrannt und seine Bilder als Entartete
Kunst geächtet gipfelte in der schlimmsten aller Sanktionen, dem
Auftrittsverbot.
Das bedeutet für ihn, der zu seinen besten Zeiten ähnlch populär wie die inzwischen ja
auch verbotenen Comedian Harmonists war, das Ende seines künstlerischen
Lebens. Entsprechend ergreifend lesen sich die Schilderungen seines letzten Lebensjahres,
fast mittellos und auf den Tod an Tuberkulose erkrankt. Fazit: eine tief auslotende
Biographie zu einem ebenso großen wie schwierigen Künstler, dessen Werk längst nicht
nur zum Kanon deutscher Literatur zählt, sondern mit seinen kauzig-klugen
Alltagsgedichten unvermindert zu den beliebtesten Kleinkunstvorträgen gehört.
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