JAN
WAGNER: REGENTONNENVARIATONEN
Vielleicht war es am Ende der Giersch, der Jan Wagner zum Preis der Leipziger Buchmesse
verhalf. Immer wieder werde er nämlich auf das Giersch-Gedicht angesprochen, das die
Regentonnenvariationen eröffnet und zugleich auch auf der Buchrückseite
steht. So erzählte der Lyriker schon bei einer Lesung kurz nach Erscheinen seines nun so
unerwarteter- und für Freunde der gebundenen Sprache beglückenderweise ausgezeichneten
aktuellen Gedichtbandes im letzten Jahr.
Wer das dezent mit der Sonettform spielende Gedicht liest, versteht sofort, warum es viele
spontan anspricht: nicht zu unterschätzen: der Giersch/mit dem begehren schon im
namen darum/die blüten, die so schwebend weiß sind, keusch/wie ein
tyrannentraum. So hebt giersch an, und selbst bekennende Lyrikmuffel
werden sehen, wie ungezwungen, elegant und sprachbegeistert hier einer an sein
Unkrautbedichtungswerk geht. Wuchernde Wortlust, die dem sprießenden, schießenden Kraut
beherzt an die semantische Wurzel geht.
Es ist ein Vergnügen, das zu lesen und fortan die Gartenplage mit anderen Augen zu sehen.
Genau das ist der Effekt, der sich einstellt, lässt man sich auf Wagners
Regentonnenvariationen ein. Dass der Blick geschult wird für die
grundsätzliche Magie, die noch dem scheinbar Simpelsten innewohnt. Pflanzen, Tieren,
Dingen des Alltags. Seife und Servietten, ein Nagel und Tassen werden unter Jan Wagners
poetischer Perspektivverschiebung zu Einlasspforten in die aufregende Parallelwelt der
Assoziationen und Erinnerungen.
Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist laken, das mit den Zeilen
beginnt: großvater wurde einbalsamiert,/und ich entdeckte ihn ein jahr später,/als
wir die betten frisch bezogen,/zur wespe verschrumpelt, winziger/pharao eines längst
vergangenen sommers. Und so geht es fort und fort in diesem schönen Buch, in dem
Gedichte stehen und nur Gedichte, was die Jury in Leipzig nicht davon abhielt, es mutig
mit dem Messepreis auszuzeichnen.
Die Lyrik hätte nichts mit dem alltäglichen, mit dem sogenannten wirklichen Leben
zu tun? Das ist ein Missverständnis, doch es bleibt abzuwarten, ob es sich ausräumen
lässt. Mit diesen Worten hat der 1971 in Hamburg geborene, in Berlin lebende Jan
Wagner selbst den schweren Stand der Dichtkunst hierzulande und anderswo beschrieben,
geduldig und zugleich aber auch das trotzige Dennoch durchschimmern lassend,
das Lyrik ist.
Nachzulesen sind die Sätze in seinem 2011 erschienenen Essayband Die Sandale des
Propheten. Ein Abstecher ins Prosaland, aber nur um dort Lyrik zu schreiben.
Souveräne Beherrschung des Handwerks, zündende Ideen, gepaart mit nie nachlassendem
Enthusiasmus für die Kunst des Dichtens, das alles hat Jan Wagner unbeirrt zu den
Regentonnenvariationen geführt. Und zur verdienten Auszeichnung in Leipzig.
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