NELE
NEUHAUS: DIE LEBENDEN UND DIE TOTEN
In sechs Krimis hat sich Nele Neuhaus von mal zu mal
gesteigert und das ist ihr auch mit Nummer 7 gelungen. Wobei sie mit Die Lebenden
und die Toten einen echten Taunus-Thriller zu einem sehr aktuellen Thema vorlegt.
Zum Einstieg erlebt der Leser Vorbereitung und Durchführung eines heimtückischen Mordes
aus Sicht des Täters mit. Der vehement Auftakt trifft auf einen Oliver von Bodenstein von
der Kripo im Main-Taunus-Kreis, der quasi Not am Mann hat, denn gleich zwei Kollegen
kränkeln und die clevere Pia Kirchhoff hat sich in den Urlaub verabschiedet, um heimlich
zu heiraten. Noch sind allerdings erst die Koffer gepackt, weshalb sie sich vom Chef zum
Tatort bitten lässt.
Wo sie eine Leiche mit zerfetztem Schädel vorfinden, eine ältere Spaziergängerin und,
wie sich bald herausstellt, allseits beliebt. Ist sie das Zufallsopfer eines fiesen
Killers geworden? Bevor sich Pia jedoch anschicken kann, ihre Fernreise anzutreten,
passiert bereits der zweite Mord: eine ältere Dame wird beim Plätzchenbacken neben ihrer
Enkelin mit derselben Waffe mit Schalldämpfer und zerfetzender Teilmantelmunition durchs
Fenster erschossen.
Zur Rätselhaftigkeit des erneuten Anschlags, dessen Zielperson ebenfalls keinerlei
Feinde, aber auch keinerlei Verbindung zum ersten Opfer hatte, kommen nun makabre
Todesanzeigen, in denen sich der Killer als Richter der Lebenden und der Toten bezeichnet.
Sein Rachefeldzug geht weiter und er offenbart sich in seinen kursiv gefassten Passagen
als ein Unerbittlicher, der ebenso planvoll wie fatalistisch eine selbstgestellte Mission
erfüllt. Der weitere Menschen zum Opfer fallen.
Die Öffentlichkeit gerät angesichts des unberechenbaren Snipers so in Panik,
dass sich trotz der Weihnachtszeit kaum noch jemand hinaustraut. Die Ermittler tappen auch
weiter verzweifelt im Dunkeln, als der Serienkiller eine dunkle Andeutung für seinen
Rachefeldzug gibt: Die Schuldigen sollen denselben Schmerz verspüren wie den, den
sie aus Gleichgültigkeit, Habgier, Eitelkeit und Gedankenlosigkeit verursacht
haben.
Fast mutet es wie ein glücklicher Zufall an, als Bodenburg und Kirchhoff bei dem jungen
Mann, der am ersten Weihnachtstag erschossen wird und nicht per Kopfschuss
darauf stoßen, dass er vor Jahren ein Spenderherz erhalten hatte und der Ehemann einer
der umgebrachten Frauen damals der Chefarzt dabei war. Doch wenngleich der Leser den
Ermittlern im Wissen ein wenig voraus ist und dem Killer erneut bei seinen nächsten
Vorbereitungen und ihrer Ausführung gewissermaßen über die Schulter schaut wer
ist er und warum hat er sich gerade diese Opfer ausgesucht?
In exzellenter Dramaturgie wird die Spannung in immer neue Höhen getrieben, selbst als
sich allmählich Zusammenhänge abzeichnen, die auch mit der erwähnten
Herztransplantation zu tun haben, darüber aber weit hinausgehen. Das ist hervorragend
durchdacht und fesselt zudem mit der dichten Atmosphäre sowie den exzellent
herausgearbeiteten Figuren. Die Einflechtung manch privater Aspekte beider Kommissare
bereichert den rasant vorantreibenden Fluss ebenso wie die Erweiterung des Teams um Pia
Kirchhoffs Schwester und den Fallanalytiker Neff, was das Innenverhältnis zusätzlich mit
einigen Kontroversen belebt.
Fazit: ein Krimi vom Feinsten, der auch anspruchsvolle Liebhaber des Genres begeistern
wird.
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