JUNG CHANG: KAISERINWITWE
CIXI
Als 16-jährige Konkubine niederen Ranges kam Cixi 1862 an den chinesischen Kaiserhof und
dank der Geburt eines Sohnes für den Kaiser gelang ihr ein unvergleichbarer Aufstieg, der
sie für fast 47 Jahre zur Quasi-Herrscherin Chinas machte. In der Geschichtsschreibung
aber wird sie entweder als tyrannisch und bösartig oder völlig unfähig oder gar beides
geschmäht.
Dieser Ruf als blutrünstiger reaktionärer Drache wurde allerdings maßgeblich und
erfolgreich von ihren Feinden nach ihrem Tod begründet. Allen voran war hierfür der als
Reformer gerühmte Kang Youwei, genannt der Wilde Fuchs, verantwortlich,
dessen machtlüsternen Umgarnungsversuche beim Kaiser sie folgenreich unterband. Auf der
Grundlage vor allem lange nicht zugänglicher chinesischer Quellen legt nun die in England
lebende Historikerin Jung Chang mit Kaiserinwitwe Cixi. Die Konkubine, die Chinas
Weg in die Moderne ebnete eine große Revision des Lebens dieser unbestreitbar
größten Frau in der Geschichte des Riesenreichs vor.
Jung Chang, Autorin des Weltbestsellers Wilde Schwäne, entlarvte vor einigen
Jahren mit ihrer grandiosen Biografie Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal
eines Volkes die eiskalte Machtgier des Großen Führers, die 70 Millionen Opfer
kostete. Mit Cixi (1835-1908) widmet sich die einstige Mao-Verehrerin nun der wohl
zweitwichtigsten Persönlichkeit in der Geschichte der heutigen Weltmacht ein Ruf,
den erst diese auf intensiven Recherchen beruhende Biografie untermauert.
Mit viel Raffinesse gelang Cixi in dem von der Konfuzianischen politischen Kultur
geprägten Kaiserreich, das Frauen jegliches Mitwirken absprach, durch indirektes Handeln
über ihren Sohn die Einflussnahme. Später erlangte sie über einen adoptierten Neffen
und schließlich über Adoptivsohn Kaiser Guangxu die Quasi-Regentschaft, auch wenn sie
den größten Teil ihrer rund 47 Jahre diese Macht nur hinter einem seidenen Wandschirm am
Thron verborgen ausüben konnte.
Als ihr heimliches Regiment nach der Geburt des Kaisersohns 1856 und dem Tod das
amtierenden Kaisers begann, lag das Reich danieder. Die Taiping-Rebellion hatte zehn Jahre
lang das rückständige Land ausgeblutet und Millionen Menschenleben gekostet. Hinzu kam
das Eindringen ausländischer Mächte in das bis dahin weitgehend abgeschottete Land.
Durch eine Palastintrige sorgte Cixi für die Entmachtung des rückwärtsgewandten
Regentenkollegiums und begann ihren windungsreichen Siegeszug mit der Inthronisation ihres
Sohnes als Kaiser Tonghzi. Zugute kam ihr dabei immer wieder, dass sie in sträflicher
Weise von ihre Feinden unterschätzt wurde. Spätestens nach der Niederlage von 1894 gegen
das längst modernisierte Japan ergriff Cixi endgültig das Ruder der Staatsmacht und
Kaiser Guangxu schrieb 1989 in das Edikt der Reformen von 1898: Von nun an sollten
wir in großem Umfang westliche Methode anwenden.
Maßgebliche Ideen dazu beruhten zwar auf Kang Youweis Schriften an den Kaiser, allerdings
war der Berater ein machtgieriger Außenseiter, der zudem japanischen Kräften viel
Einfluss einräumte. Nach seinen Einflüsterungen war Cixi angeblich die ultrakonservative
Gegenspielerin des Kaisers, obwohl gerade sie den Anstoß zu einem entscheidenden Sprung
nach vorne gab. Als Cixi gewahr wurde, dass selbst der Kaiser ihr als angebliche Bremserin
nach dem Leben trachtete, setzt sie ihn quasi gefangen. In dieser Palastrevolte kam es
denn auch zu den wenigen Tötungen missliebiger Gegner, die Cixi persönlich
verantwortete.
Ausgerechnet Kang aber konnte entfliehen und später ihr Bild entscheidend verzerren und
dies erfolgreich bis in die 1980er Jahre. Einen Prozess gegen die Verschwörer musste die
ansonsten so mächtige Kaiserinwitwe vermeiden, denn dann wäre der Kaiser selbst
öffentlich als Mitwirkender entlarvt worden. Doch sie übernahm die Macht nun um so
offener und blieb auch nicht mehr hinter dem seidenen Wandschirm am Thron. Und sie stieß
grundlegende Reformen für den großen Sprung in die Moderne an.
Innovationen wie Telegrafen, elektrisches Licht, Eisenbahn, moderne Streitkräfte rissen
das Reich aus seinem unheilvollen Dornröschenschlaf, Während die heimliche Herrscherin
ihren wohl größten Verdienst mit der Einführung eines modernen Bildungswesens hat,
begeht sie just zu dieser Zeit auch ihren einzigen großen Fehler, der ihren Ruf als
reaktionäre Despotin noch untermauerte: sie unterstützt die fremden- und
christenfeindlichen Horden des Boxer-Geheimbundes. Mit der Folge des sogenannten
Boxer-Aufstandes, den die vereinigten Westmächte und Russland blutig niederschlugen.
Cixi bereute diesen Fehlgriff, um so mehr Ruhm erwarb sie sich in ihren letzten Jahren als
die Reformerin, die China in ein modernes Staatswesen verwandelte. Doch so, wie das von
Kang Youwei initiierte Schmähbild ihr Unrecht tut, geht Biografin vermutlich ein wenig
arg weit in ihrer Lobpreisung, denn bei allen Verdiensten der Kaiserinwitwe sie war
nicht nur eitel und verschwenderisch, noch auf dem Sterbebett sorgte sie für den Gifttod
ihres Adoptivsohnes Guangxu, damit der Kaiser ihr Reformwerk nicht mehr gefährden konnte.
Das Fazit lautet gleichwohl, dass diese trotz der Fülle an Fakten und Details sehr
lebendig und spannend geschrieben Biografie einer entscheidenden Persönlichkeit der
Neuzeit die längst fällige Gerechtigkeit in der öffentlichen und historischen
Wahrnehmung zukommen lasst und als großes Stück Geschichtsschreibung begeistert.
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