BENITO
WOGATZKI: FLEUR
Beim viel älteren Schauspieler Wolf Janara lernt Fleur die Feinheiten der Erotik. Das ist
noch zu DDR-Zeiten, die Oberschülerin ist erst 16, doch sie weiß schon da: Ich bin
für die Liebe geboren. Doch Fleur ist nicht nur sehr attraktiv, sie hat eine
Naturbegabung in Liebesdingen und wenn sie künftig reihenweise Männer verführt, so kann
man sie gleichwohl kaum als Hure bezeichnen, denn sie tut es nicht für Geld oder weil sie
nymphoman wäre.
Fleur heißt auch der Titel von Benito Wogatzkis jüngstem Roman und der
Grandseigneur (Jahrgang 1932!), der seit langem in Südfrankreich lebt, hat mit Fleur die
wahre Krönung seiner stets besonderen Frauenfiguren geschaffen. Fleur ist unersättlich
in Sachen Liebe, doch dabei zählt weniger der rein physische Genuss, vielmehr reizen sie
in ihrem lustvollen Treiben die besonderen Männer. Da aber legt sie eine Karriere vor, in
der Professoren und Künstler, Juristen, Wissenschaftler und Politiker eine illustre
Rollen spielen.
Den Rahmen jedoch schafft Julius, der Schriftsteller und Publizist (und spürbar das alter
ego des Autors!), der sich rettungslos in sie verliebt. Und auch er bedeutet für sie
etwas Besonderes, eine Art wahre tiefe Liebe. Was ihm allerdings Qualen statt
Glücksmomente beschert, denn die trotz ihres Lebenswandels im Herzen naive Fleur sieht in
ihm eine Art reine Liebe der sie alles erzählen kann über ihre Erlebnisse mit den
Liebhabern. So kommt Julius zu der schmerzlichen Erkenntnis: Fleur war diejenige,
die ihm gehörte, ganz eindeutig. Man hatte nur versäumt, zu erwähnen, dass sie ihm
nicht allein gehörte.
Noch bevor er dann fast die Schwelle zur ersten eigenen Liebesnacht mit ihr
überschreitet, nimmt er Reißaus, weil sie im beginnenden Liebesspiel mit gewohnter
kindlicher Begeisterung vom neuesten Liebhaber erzählt. Die Wege trennen sich, Julius
vermag auch nicht mehr zu schreiben und wird Immobilienmakler. Fleur aber gerät unter
anderem an seinen einstigen schriftstellerischen Intimfeind wie auch an einen Professor,
der einen wegweisenden Koeffizienten für die Weltwirtschaft entdeckt hat. Und in der
Wendezeit gelingt Fleur mit ihrem klugen Kopf und nicht zuletzt dank erneuter
besonderer Beziehungen eine auch intellektuelle Karriere.
Julius findet derweil andere Partnerinnen und intensiven Trost bei Muriel, die er im
südfranzösischen Bandol beim Vermakeln ihres schönen Hauses kennengelernt hat. Mit ihr,
die Fleur wenigstens äußerlich ähnelt, erlebt er durchaus glückliche Zeiten, vergessen
aber kann er die Rätselhafte nicht: Falls Fleur vielleicht doch sein Schicksal war,
so dachte Julius, dann was es ein sehr vielseitiges, ein sehr endloses Schicksal...
Das ihn wegen Muriels Haus und einem Interessenten dafür nach Brüssel treibt. Ohne zu
wissen, dass Fleur mittlerweile dank ihrer geistigen Fähigkeiten und dem, was sie
von hochmögenden Liebhabern gelernt hat ebendort einen steilen Aufstieg gemacht
hat. Als Kanzleichefin der EU-Abteilung für Verflechtungen begegnet sie nun Arnand
Perignon und dieser ebenso gewiefte wie charmante Franzose wird nicht nur ihr Chef sondern
auch ihre große Liebe.
Julius wiederum trifft nun auf den polnischen Journalisten Krysztof, der ebenfalls
Interesse an Muriels Haus zeigt. Seine investigative Arbeit aber zielt auf die
Kanzleichefin für Verflechtungen und deren neuen Chef mit weitreichenden Folgen
für alle Beteiligten. Mag das Alles lange einen episodenhaften Kontext vermittelt haben,
so wird nun immer deutlicher, wie alles mit allem zu tun hat und auch fast alle der
exzellent gezeichneten Charaktere ihre Bedeutung haben.
Jetzt steht Fleur selbst unmittelbar im Mittelpunkt des Geschehens und ihr Lebensmotto
Ich habe keine Angst. Alle Zärtlichkeiten sind mir bekannt stößt an
ungeahnte Grenzen. Nicht nur in ihrer Liebe zu Perignon sondern auch, wenn erneut eine der
Weisheiten des Autors, dass der Mensch, wenn er ins Glück aufsteigt, nur ein Stück
tiefer gefallen ist, sich entfaltet.
Wie dieser bis zuletzt fesselnde Roman voller hinreißender Wendungen schließlich
tragikomisch endet, sei hier nicht verraten, denn auch das ist Benito Wogatzki mit
grandioser Souveränität gelungen. Bis dahin hat er immer wieder als herrlicher
Sprachjongleur der alten Schule mit manch kauzigen Metaphern, überraschenden Ideen und
einer feinen Mischung aus Erotik und schräger Komik begeistert. Wogatzki erweist sich als
einer, der die Frauen versteht und weiß, dass man sie dennoch nicht wirklich begreifen
kann.
So sei die Wertung gewagt, dass dies der wohl außergewöhnlichste Liebesroman des Jahres
ist verrückt, intelligent, pikant, lebens- und liebeserfahren und wahrlich ein
Fest für anspruchsvolle Leser.
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