TOBY BARLOW: BABA JAGA
Paris, Ende der 50er Jahre, hier treibt die schöne Zoja ihr Unwesen, die Männern
lebensgefährlich werden kann. Das muss auch ihr aktueller Liebhaber erfahren, der sie
nach dem Kriegsende kennenlernte und ihr nach ihrem jetzigen Wiedersehen dummerweise das
Kompliment macht, sie habe sich kein bisschen verändert.
Möglichen weiteren Überlegungen darüber macht sie auf denkbare rabiate Weise ein Ende,
denn sie ist ja wirklich eine Jahrhunderte alte Baba Jaga, eine russische Hexe, die ihr
Geheimnis nicht gefährdet sehen will. Diese quasi-märchenhafte Begebenheit ist zugleich
der Auftakt zu einem ganz und gar verrückten Roman, der auch Baba Jaga
heißt. US-Autor Toby Barlow stellt dazu noch die furchtbar alte und hässliche Elga an
Zojas Seite, gewissermaßen ihre Mentorin und noch viel gnadenloser, wenn es um die
vielfältigen Methoden geht, Männer ins Jenseits zu befördern.
Dieses furchtbare Duo arbeitet seit Jahrhunderten auf gemeine Weise zusammen. Diesmal
macht die Alte jedoch einen kleinen Fehler bei der Beute des soeben gemeuchelten
Liebhabers und so kommt ihr Kommissar Vidot auf die Schliche. Was ausnahmsweise nicht
tödlich für diesen endet, stattdessen verwandelt ihn Elga in einen Floh. Als solcher
führt Vidot eine eigene Rolle in dem vielgestaltigen Geflecht aus Handlungssträngen, die
erst irgendwann auch zusammenfinden.
Doch neben dem schrillen Hexengebräu geht es obendrein um Spione, große Emotionen und
die Angst vor der Eskalation des Kalten Krieges. Hier nun kommt Will ins Spiel, ein
Amerikaner in Paris, der in einem Werbebüro arbeitet, hinter dessen Fassade auch die CIA
wirkt. Auf den Geschmack an Pariser Leichtigkeit bringt ihn der charmante Oliver,
ebenfalls aus den USA, der hier ein Literaturmagazin betreiben will. Als Will und Zoja
sich begegnen, kommt außerdem die große Liebe hinzu, denn die männerverschlingende Hexe
entwickelt tatsächlich erstmals echte Gefühle.
Was für den wackeren Will Lebensgefahr heraufbeschwört, denn Elga trachtet in ewiger
Rache aus fernen Zeiten jedem Mannsbild nach dem Leben. Darüber gibt es im Übrigen nicht
nur ebenso epische wie knallharte Rückblicke, zwischendurch erzählen auch eingeschobene
und teils ausführliche Hexengedichte Haarsträubendes vom Wesen und Unwesen der Baba
Jagas. Hinzu kommen bizarre Figuren wie eine massige Ratte, die einst ein russischer
Priester war, nun aber vorübergehend auch Vidot als Floh-Taxi dient.
Wer jetzt denkt, das höre sich arg absurd und schräg und obendrein schwer durchschaubar
an, der hat recht. Dieses mal deftig bis derb geschriebene, mal von rauer Poesie
flirrende Buch ist von jener Art, die man entweder als völlig bescheuert weglegt oder mit
Faszination verschlingt. Toby Barlow gießt hier ein Füllhorn irrer Fantasie aus, das
durchaus zuweilen auch Logik und Glaubwürdigkeit links liegen lässt. Wer es aber
verrückt mag, findet in diesem literarischen Seiltanz einen Roman, als hätte ein
bekiffter Dali einen surrealen Liebes-Fantasy-Spionagethriller entworfen und von einem
versierten Drehbuchautor mit lässiger Hand aufs Papier bringen lassen.
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