SASA STANISIC: VOR DEM
FEST
Mit seinem Debütroman Wie der Soldat das Grammofon repariert wurde der aus
Bosnien stammende Sasa Stanisic 2006 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Für seinen
neuen Roman Vor dem Fest erhielt er jetzt den Buchpreis der Leipziger
Buchmesse.
Das muss schon deshalb nicht verwundern, weil diese frische und ebenso originelle wie
kunstvolle Prosa mit diesem zweiten Heimatroman erneut ein glitzerndes Kaleidoskop voller
skurrilem Humor in den mit großem Ernst erzählten Episoden und Anekdoten entwirft.
Spielort ist das Dorf Fürstenfelde dem echten Fürstenwerder in tiefster
uckermärkischer Provinz nachempfunden mit seinem wendegeschädigten Kosmos:
Es gehen in dieser Gegend mehr tot, als geboren werden.
Die aber hier sind zeichnet Stanisic zu hinreißenden Figuren, die jede für sich für
Geschichten gut ist. Dabei trauert man gerade um den Fährmann, der sie einst über die
beiden angrenzenden Seen brachte. Er war gewissermaßen das Gedächtnis des Dorfes, viel
mehr noch als das Dorfmuseum mit seinen gehüteten Schätzen unter der Betreuung von Frau
Schwermuth. In das in dieser Nacht eingebrochen wird, in dieser Nacht vor dem Annenfest,
von dem keiner so recht sagen kann, was da eigentlich gefeiert wird.
Aber es ist der Höhepunkt des Jahres, was niemand in Frage stellt, und ohnehin ist diese
Nacht unruhig und treibt so manchen um. Nicht nur die wenigen jungen Typen, die sich
mangels einer Kneipe in Ullis Garage treffen, um sich mit billigem Bier volllaufen zu
lassen. Allerlei skurrile und dennoch irgendwie glaubhafte Charaktere tummeln sich hier
und jeder hat es in sich, sei es die nachtblinde Malerin, die endlich ein Nachtbild vom
Dorf malen will, sei es der hühnerzüchtende Ditsche, Ex-Briefträger und Ex-Spitzel. Da
hat der alte Glöckner im Sohn der trübsinnigen Dorfchronistin zwar einen wenn auch
atheistischen Nachfolger gefunden, nur sind nun die Glocken verschwunden.
Viel alte DDR schimmert durch dieses Dorf voller Schrullen und uralter Geschichten. Am
trefflichsten personifiziert durch Herrn Schramm, ehemals Oberstleutnant der NVA, dann
Förster, jetzt Rentner und weil es nicht reicht auch schwarz bei Von Blankenburg
Landmaschinen. Der vereinsamte Ex-Offizier versucht, die Depressionen mit Pornos im
Fernsehen zu vertreiben. In dieser Nacht aber steht er vor der schwierigen Frage: Kippen
oder Kopfschuss. Vorerst erschießt er schon mal den Zigarettenautomaten, weil der nichts
ausspuckt.
Das Alles ist schräg, kauzig und zugleich wunderbar poetisch. Wenn der Erzähler dann
immer wieder als Wir von den Ereignissen berichtet, lässt sich der Leser gern
vereinnahmen von den so ernsthaft mit brillant einfachen Sätzen beschriebenen Details bis
zur Verzauberung. Es raunt, es spinnt, es stellt fest: Wir schweifen ab. So eine
Nacht ist das.
Ja, es gibt solch eine Gegenwart in unserem Land, so scheinbar weltabgewandt, so
tragikomisch. Und wenn man wissen will, warum dieser ganz und gar kitschfrei gelungene
Heimatroman nicht nur die Kritiker begeistert, der lese diesen Satz des Autors, der das
Geheimnis andeutet: Es ist leicht und angenehm, jemandem zuzuhören, der kaum je
witzig sein will.
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