PHILIP KERR: BÖHMISCHES
BLUT
Besonders dunkel gestimmt ist der mittlerweile achte Krimi um Kriminalkommissar Bernhard
Gunther, denn der britische Erfolgsautor Philip Kerr lässt seinen Berliner Bullen diesmal
wieder zu Nazi-Zeiten ermitteln. Böhmisches Blut lautet der Titel, zunächst
aber wird niederländisches vergossen, denn der Mord an einem Fremdarbeiter gibt eingangs
Rätsel auf.
Doch Gunther ist ohnehin kein bisschen motiviert, vielmehr quälen ihn Suizidgedanken. Es
ist Herbst 1941 und auch ihn hatte man zum Sondereinsatz in der Ukraine abkommandiert, wo
so mancher Polizist die Beteiligung an den Massenerschießungen von Juden nicht
verkraftete. Zurück in der Hauptstadt spürt er allenthalben die ersten Auswirkungen des
Krieges, sei es beim Verdunklungszwang, seien es all die Rationierungen oder die
allgegenwärtige Überwachung insbesondere durch die Gestapo.
Als einzig angenehme Begleiterscheinung des aktuellen Falles ergibt sich nur die
Bekanntschaft mit Arianne Tauber, die in einem der wenigen noch geöffneten exklusiven
Clubs arbeitet. Gunther hatte sie in der Nacht des Mordes vor einem Unhold gerettet und
schnell kommen sie sich näher. Der Mord an dem Fremdarbeiter aber führt derweil zu einem
weiteren Toten und nun kommt der bärbeißige Nazi-Hasser Gunther mit der Gestapo ins
Gehege, denn alles deutet darauf hin, dass es sich um den letzten bisher noch nicht
gefassten tschechischen Terroristen von den berüchtigten Drei Königen
handelt.
Um so überraschender kommt es für Gunther, als er mittendrin abgezogen wird zu einem
Sonderauftrag und das von keinem Geringeren als SS-General Reinhard Heydrich. Der frisch
gebackene Reichsprotektor von Böhmen und Mähren (der früheren Tschechoslowakei) weiß
sehr wohl von der aufsässigen Haltung des fähigen Kommissars, schätzt aber
gerade die, als er ihm zur Aufklärung eines Mordes derartig freie Hand gibt, dass er
sogar höchste SS-Chargen ins Kreuzverhör nehmen darf.
Gunther nutzt die Abordnung, Arianne mit nach Prag zu nehmen. Wenngleich wenig Zeit zum
Turteln bleibt wegen der Ermittlungen im Fall Kuttner, des 4. Adjutanten Heydrichs. Das
mag zwar ein enger Vertrauter des mächtigen SS-Mannes gewesen sein, doch in seiner
sarkastischen bis zynischen Art stellt Ich-Erzähler Gunther fest: Im Herbst 1941 in
einem Mordfall zu ermitteln war ungefähr so, als nehme man einen Mann während der
Weltwirtschaftskrise wegen Landstreicherei fest.
Hier verkennt der ansonsten überaus clevere Kriminalist Dimensionen, die sich
schließlich als ebenso verblüffend wie glaubhaft erweisen werden, denn bei allen
Thrillerqualitäten dieser Geschichte alles spielt vor absolut realem Hintergrund
und fast sämtliche höhere Chargen sind historische Figuren, allen voran Heydrich als
eine der schlimmsten Bestien des Systems. Zudem hat sich der mysteriöse Mord, bei dem
Kuttner in seinem von innen abgeschlossenen Zimmer umgebracht wurde, auf dem feudalen
Herrschaftssitz Jungfern Breschan bei Prag zugetragen, der von Heydrich requirierten
Residenz. Man weiß, dass tschechische Kräfte nicht nur den eiskalten Reichsprotektor und
Drahtzieher bei der Endlösung der Judenfrage nach dem Leben trachteten. Dennoch lässt er
sich im offenen Wagen durch das drangsalierte annektierte Land kutschieren, was ihn ja
bekanntlich auch das Leben kostete, als ausgebildete Widerstandskräfte ein Attentat auf
ihn verübten. Das allerdings steht erst am Ende dieses hochspannenden Romans und Kerr
wartet dazu mit einem echten abschließenden Clou auf.
Zunächst aber fesselt Gunthers Ermittlungsarbeit, die faszinierende Charakterisierungen
der arroganten Nazi-Größen und allerlei ungeahnte Winkelzüge einschließt. Nie war
Gunther so bissig und so gut, dennoch gelingt dem akribisch überführten Mörder ein
Schnippchen, das auch dem Leser den Atem verschlägt. Und in wem der wackere Gunther sich
noch gewaltig geirrt hat, das ist eine hinreißende Wendung, die hier jedoch ebenfalls
nicht verraten werden soll.
Erneut brilliert Philip Kerr mit der absolut stimmigen Verknüpfung von Krimi noir und
historisch authentischer Nazi-Zeit. Und man darf wohl sagen, dass er sich mit diesem
ohnehin spektakulären Heydrich-Mord und seiner fiktiven aber durchaus denkbaren
Vorgeschichte selbst überboten hat. Fazit: ein intelligenter historischer Krimi auf
Weltklasseniveau.
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