ANNETTE HOHBERG: DAS
UNENDLICHE BLAU
Als die Journalistin Martha an ihrem 50. Geburtstag von der
eigenen großen Feier verschwindet, stehen ihre Freunde wie auch Tochter Lina vor einem
Rätsel. Wie konnte ausgerechnet diese sonst so disziplinierte und pflichtbewusste Frau
einfach so ohne ein Wort das Haus verlassen? Es ist offenbar ein dahingeworfener Satz von
einer Kollegin gewesen, die meinte, ein Carpe diem, ein vor sich hinleben und den Tag
genießen, könne sich heutzutage niemand mehr leisten, der Martha zu der unerwarteten
Reaktion bewegt hat.
Damit beginnt auch Annette Hohbergs neuer Roman Das unendliche Blau, der ein
ernstes Thema aufgreift. Schon seit vielen Jahren und erst recht, seit sie sich vom
ungetreuen Ehemann hat scheiden lassen und Lina allein aufgezogen hat, wäre ein solches
Carpe diem undenkbar für Martha gewesen. Nun aber ist ihr gesamtes Leben auf den Kopf
gestellt, denn wenige Tage vor dem Geburtstag hat die jünger wirkende attraktive Frau von
ihrer Krebserkrankung erfahren, Diagnose Endstadium.
Sie entscheidet sich gegen jede Therapie und jetzt, da der Tod so unvermittelt keine ferne
abstrakte Größe mehr ist, bricht sie aus allem aus. Mit wenig Gepäck fährt sie zu
Francesca, einer italienischen Kollegin in Bologna, um dort nichts anderes mehr zu tun,
als das Leben in vollen Zügen zu genießen. Jeden Moment will ich jetzt leben,
wissend, dass alles andere Verschwendung wäre.
Und Martha findet nun, da jeder Tag der letzte sein kann, endlich zu der lange vermissten
Lebensfreude zurück und lernt Michele kennen. In diesem Wissen der nahen
Endlichkeit erlebt sie die ganz große Liebe mit ihm, voller Intensität und zutiefst
genossenem Lebensglück. Sie lebt dieses Carpe diem aus und durchleidet nur die schlimmen
Stunden, Michele die ganze Wahrheit offenbaren zu müssen.
Doch selbst mit Ex-Ehemann Hans gibt es eine bewegende, beinahe freundliche Aussprache und
auf sein Reuebekenntnis für sein häufiges Fehlverhalten entgegnet sie milde: Wir
sind nicht auf dieser Welt, um alles richtig zu machen. Ohnehin offeriert dieser
lebenskluge und ebenso emotionale wie leise Roman immer wieder Sätze, die lange
nachhallen. Zugleich rührt er zuweilen zu Tränen ohne je rührselig zu werden. Und
Annette Hohberg entlässt den Leser mit der weisen Erkenntnis: am Ende bereut man nur das,
was man nicht getan hat.
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